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Interesse noch andere Wege bieten, die aus der Kassirbarkeit
behördlicher Entscheidungen für den Einzelnen erwachsenden Nach-
theile aufzuheben und zu mildern. Die Praxis der Verwaltungs-
behörden und Verwaltungsgerichte in dieser Frage ist eine
schwankende, insoferne sie öfters aus Billigkeitsgründen die
Berufung auf die res judicata gegenüber der Rücknahme von
Entscheidungen und Verfügungen, welche das öffentliche Interesse
rechtswidrig verletzen, über die gesetzlich anerkannten Fälle
hinaus ausdehnt. Weil nun hier eine dem Subjectivismus ausge-
setzte Vergleichung der mit der Opferung des öffentlichen Interesse
verbundenen Nachtheile mit den dem Einzelnen aus der Aufhebung
einer Entscheidung oderV erfügung erwachsenden die Unterlage dieser
Billigkeitsgerichtsbarkeit bildet, so ereignet es sich, dass in generell
gleichen Fällen wegen der individuellen Verschiedenheit das einemal
res judicata anerkannt wird, das anderemal nicht. Von gewohnheits-
rechtlicher Ausbildung fester Rechtssätze kann keine Rede sein?®).
26) Mit der vorstehenden Ausführung erscheint auch die Versicherung
BERNATZIE’s widerlegt, dass die von ihm in seiner Rechtssprechung und
materiellen Rechtskraft vertretenen Rechtssätze Darstellung des geltenden
Rechts (Vorrede S. VI), und insbesondere eines durch die Praxis des österr.
Verwaltungsgerichtshofs (S. 110 a. a. O.) herausgebildeten Gewohnheitsrechts
seien. Das geltende Recht regelt diesen Gegenstand nur fallweise und
die einzelnen Fälle verschieden. Was aber die rechtsbildende Thätigkeit des
Verwaltungsgerichtshofs betrifft, so hat BERNATZIK selbst den gründlichen
Nachweis erbracht, dass die Praxis dieses Gerichts in der hier behandelten
Frage eine höchst schwankende sei (u. a. S. 136 u. ff). Vgl. nunmehr auch
Rosın, das Recht der Arbeiterversicherung I. Bd. 8. 779 ff. und Mexzeı, die
Arbeiterversicherung nach österreichischem Recht 8. 176 u. ff. Die von letz-
terem aufgestellte Ansicht, dass die Cassation einer formell rechtskräftigen
Entscheidung nur ex nunc wirke, wird man de lege ferenda nur soweit gelten
lassen, als das öffentliche Interesse für die Uebung solcher Billigkeit Raum
lässt. De lege lata lässt sich eine solche Beschränkung nicht nachweisen. Mit
der Cassation einer Wasserrechtsverleihung fallen auch alle aus derselben für
Dritte abgezweigten Rechte. Gänzlich ablehnend verhält sich gegen die Aner-
kennung materieller, das öffentliche Interesse präcludirender Rechtskraft auf
dem Gebiete des öffentlichen Rechts Zoen in seiner Abhandlung Kritische
Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit S. 124.