— 390° —
wohldurchdachten Gesetzgebung. Je mehr sich das wirthschaft-
liche Leben entfaltet, je mannigfacher dasselbe sich gestaltet;
desto schwieriger werden die Aufgaben der Gesetzgebung, desto
umsichtiger muss dieselbe vorgehen, dass sie nicht das Gute will
und das Böse schafft; desto inniger muss der Zusammenhang von
Volkswirthschaft und Gesetzgebung sein. Mit feinem Verständniss
müssen die Organe des Staates die richtigen Bedürfnisse des
Volkes erkennen; da reichen keine Systeme mehr aus, durch
Alter ehrwürdige Lehren werden hinfällig, passt sich die Gesetz-
gebung nicht rechtzeitig den veränderten Verhältnissen an, so
suchen diese gewaltsam sich Anerkennung zu verschaffen. Wer
die Wirthschaftsgesetze und ihre Entstehung richtig würdigen und
auslegen will, der muss das wirthschaftliche Leben in Gegenwart
und Vergangenheit kennen, denn ohne dies fehlt ihm das Verständniss
für die Vorschriften, er ist leicht geneigt, frühere Gegner dieser
oder jener gesetzlichen Bestimmung zu verurtheilen, da er die An-
schauung derselben nur vom einseitigen rechtlichen Standpunkte aus
beurtheilt, heutige Verhältnisse auf frühere Zeiten überträgt und
unbeachtet lässt, dass für einen Gesetzesparagraphen auch andere
als rechtliche Momente und der Buchstabe bestimmend sind.
In der Regel sind es schwere wirthschaftliche Kämpfe, die einer
Gesetzgebung vorausgegangen sind.
Es ist daher auch ganz gewiss kein Zufall, dass die heutigen
Juristen weit mehr gleichzeitig Volkswirthe sind — oder es doch
sein müssen, als dies früher der Fall war.
Betrachtet man die moderne Gesetzgebung vom volkswirth-
schaftlichen Standpunkte, so fallen sofort zwei extreme Seiten
derselben in die Augen. Einmal versucht die Gesetzgebung dem
wirthschaftlichen Leben gewisse Grenzen zu ziehen, der wirth-
schaftlichen Thätigkeit des Einzelnen und der Ausnützung seiner
Kraft Schranken zu ziehen — dann wieder im Gegentheil ist
sie bestrebt, ‘der wirthschaftlichen Entwicklung alle Hindernisse
aus dem Wege zu räumen, die weitgehendste Entfaltung aller