— 391 —
Kräfte zu ermöglichen. Und wenn wir den gemeinschaftlichen
Ausgangspunkt für diese anscheinend einander widerstreitenden
Aufgaben und Ziele suchen, so finden wir denselben in der immer
schärfer hervortretenden capitalistischen Wirthschaftsweise. Ge-
lingt es diese Gegensätze in ein harmonisches Verhältniss zu
bringen, so hat die Gesetzgebung ihre schwere Aufgabe gelöst.
Zu den das „Spiel der freien Kräfte“ beschränkenden Gesetzen
ist fast die ganze heutige Socialgesetzgebung zu rechnen mit
ihren Bestimmungen über die Beschäftigung von Frauen und
Jugendlichen, über Arbeiterschutz, über Sonntagsruhe u. s. w.;
der „Schutz der Schwachen“ gegenüber dem „Capital“ ist hier
das Leitmotiv — zu den Gesetzen, welche der wirthschaftlichen
(Gestaltung möglichst Freiheit gewähren, welche der Vereinigung
von Capital und Arbeit die sichersten und freiesten Rechtsformen
schaffen wollen, gehört insbesondere die Ausbildung des Gesell-
schaftsrechts.
Von nicht geringem Interesse ist es, der Frage näher zu
treten, wie sich die „Haftung“ für übernommene Verbindlich-
keiten rechtlich und wirthschaftlich in den verschiedenen Zeiten,
bei den verschiedenen Völkern und in den einzelnen Gesellschafts-
arten gestaltet und entwickelt hat. Es könnte sich manche
culturhistorisch bedeutungsvolle Betrachtung daran knüpfen. Im
Folgenden wollen wir uns jedoch nur auf ein ganz kleines Ge-
biet beschränken: auf die Haftpflicht der Mitglieder bei den Er-
werbs- und Wirthschaftsgenossenschaften. Zwar ist über dieselbe
schon so viel geschrieben, dass jedes weitere Wort darüber über-
flüssig erscheinen könnte, betrachtet man jedoch die Schriften
näher, so findet man in der neuen Literatur meist, dass ent-
weder das wirthschaftliche Moment auf Kosten des rechtlichen
zu kurz gekommen ist, oder dass das Umgekehrte der Fall ist,
die wichtigsten Quellen, die uns darüber Aufschluss geben,
wie die Bestimmungen über die Haftpflicht in den verschiedenen
(ienossenschaftsgesetzen entstanden sind, hat die neuere Literatur
26*