— 567 —
Da nun aber die Erkenntniss der Grenze für die Zulässig-
keit der Ausfüllung der Lücken des öffentlichen Rechts durch
Normen des Privatrechts, soweit sie auf der Untersuchung der
Verträglichkeit derselben mit „den Zwecken des Staats“ im All-
gemeinen oder bestimmter Öffentlicher Rechtsinstitute im Be-
sonderen ruht, es mit keinem deutlichen Wegeweiser zu thun
hat, so dürfte es wohl kein geeigneteres Mittel zur Gewinnung
sicheren Bodens geben als gründliches kritisches Verfolgen der
Praxis der Verwaltungsbehörden, welche den zu besorgenden
öffentlichen Interessen unmittelbar gegenüber stehen und der Ver-
waltungsgerichte, vor welchen das öffentliche Interesse sich einer
unnatürlichen juristisch formalen Behandlung zu erwehren sucht.
Das Feld der Vergleichung kann hier nicht gross genug sein.
Den Reichthum der französischen Verwaltungspraxis an neuen
Rechtsbegriffen hat vor Allem Orro MAyER in das schärfste
Licht gestellt. Aber auch, was die Verwaltungs- und Verwaltungs-
gerichtspraxis in den deutschen Staaten und in Oesterreich in
dieser Hinsicht bietet, ist in höchstem Grade beachtenswerth, in
qualitativer Hinsicht vielleicht bedeutender als die geistreichen
Einfälle der französischen Verwaltungspraxis, denen man juristisch
nicht allzu scharf zu Leibe gehen darf. So gewahren wir denn
auf dem Gebiete der verwaltungsrechtlichen und verwaltungs-
gerichtlichen Praxis in den in Betracht kommenden Staaten eine
mit der Entwicklung des römischen Rechts vergleichbare Bildung
von Juristenrecht, welches bestrebt ist, die mangelnde Technik
des öffentlichen Rechts zu ersetzen, dessen Lücken auszufüllen,
und welches sich allen Schwierigkeiten zum Trotz zu immer grösserer
Klarheit der Erkenntniss emporarbeitet”?®). Namentlich ist es eine
*e) Die Bedeutung der administrativen und verwaltungsgerichtlichen
Praxis für die Fortentwicklung des öffentlichen Rechts findet sich gewürdigt
bei LaBanD a.a. O., I. Bd. S. 685 und BErnatrziK a. a. O. S, VI. Ein nach-
ahmenswerihes Beispiel einer gründlichen und productiven Durchforschung
dieser Praxis, allerdings nur mit Beschränkung auf einen Staat, bietet OTTO
Muayer’s Theorie des französischen Verwaltungsrechts.