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vis maior, Verlegenschaft für Schwägerschaft, Schnitzen (der
Güter) wohl = Besteuern, Butzen gan für Maskentragen u. s. w.
Einige Quellen sind lateinisch und italienisch abgefasst; es sind solche
des nach Italien sich hinabziehenden Thales Bergell, von Bivio und Marmo-
rera, sowie ein ausführliches Statut des Oberengadins von 1563, wo jetzt
romanisch gesprochen wird. Man darf aber nicht glauben, dass hier fremdes
Recht vorgetragen wird; nach Inhalt und Art der Behandlung liegen Rechts-
satzungen vor, die durchaus den Deutschgeschriebenen ähnlich sind, nur dass
sie sich meist durch etwas grössere Ausführlichkeit und Casuistik auszeichnen;
die allgemeinen Anschauungen und Grundlagen des Rechtslebens wie die
ökonomischen Verhältnisse der in diesen Thälern wohnenden Völkerschaften
waren aber denen der Deutschredenden so ähnlich, dass auch gegenseitige
Rechtsmittheilungen stattgefunden haben müssen.
Einen wirklich abweichenden Charakter bieten uns die wenigen städti-
schen Statuten von Chur und Maienfeld, namentlich insofern als in denselben
vielfach gewerbs- und sicherheitspolizeiliche Bestimmungen in den Vorder-
grund treten, zu denen auf dem Lande keine Veranlassung war. Privatrecht-
lich erscheinen dagegen Stadt- und Landrecht nicht wesentlich verschieden ;
so gilt in Chur wie in den Statuten der meisten Hochgerichte das Wahlrecht
der Wittwe zwischen Herausnahme ihres Zugebrachten oder dem dritten
Theil des ehelichen Vermögens.
Der Totaleindruck, welchen das Studium dieser zahlreichen Producte
eines scheinbar so zersplitterten Gebietes beim Leser zurücklässt, ist ausser
dem Bishergesagten namentlich noch dahin zu fixiren, dass eine auffallende
Uebereinstimmung besteht, sowohl in Bezug auf die behandelten Gegenstände
als in Bezug auf die Art ihrer Behandlung, und man wird unwillkürlich dahin
geführt, anzunehmen, dass wie im ebenen Land, so auch in diesen Gebirgs-
thälern vielfache und fortwährende gegenseitige Belehrung und Aushülfe
bei der Abfassung schriftlicher Statuten stattgefunden hat, die sich ihrer-
seits nur daraus erklären lässt, dass Sitten, wirthschaftliche Verhältnisse
und Volkscharakter aller in Frage kommenden Gebiete im Ganzen die-
selben waren.
Welches die Gegenstände sind, mit welchen sich die Statuten mit
grosser Regelmässigkeit befassen, ist aus den jedem Band vorausgeschickten
Inhaltsverzeichnissen zu entnehmen. Ziehen wir sie hier zum Schlusse kurz
zusammen:
A. Stasatsrechtliches: Verhältnisse zur Herrschaft; Wahl-der
Landammänner, der Rechtsprecher; Form der Abhaltung der Landsgemeinde;
Stimmrecht!!); Pflicht der Landleute zum Erscheinen, zur gewissenhaften
11) Dasselbe steht nicht jedem Erwachsenen überbaupt zu, sondern „von
jedem gfeüret“ (Haushalt) „mag Einer stimmen oder mehren“,