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des Werthes oder Unwerthes für das erst reifende Urtheil. Die gebildete
Jugend, und wir zählen zu dieser auch die schon über das akademische Alter
hinausgewachsene nächste Generation, will jetzt, in ihrer besseren Mehrheit,
ernster denn je die ihr gehörende Zukunft sicheren Schrittes, mit klarem
Blick für deren wahre Erfordernisse antreten. In Uebergangszeiten ist das
jedoch nicht leicht. Um so weniger leicht in der Gegenwart, wo ein wesent-
liches Mittel der Orientirung, rechtsphilosopische Vorschulung des Urtheils,
noch so wenig seine Regeneration gefunden hat, vom allgemeinen Bedürfniss
darnach schon längst gefordert.
Sogar so eminent speculativ beanlagte Rechtsgelehrte, wie ein BLUNTSCHLI
und v. IHERINne, können es nicht unterlassen, mit Nachdruck den unersetz-
lichen Mangel philosophischer Vorschulung bei ihren eigenen Arbeiten zu be-
klagen. Daher überall „multa“ und kein Ende — so wenig das allein durch-
schlagende „multum“.
Nachdem die überspannten Erwartungen, die man von einer vorzugs-
weise volkswirthschaftlichen Regeneration aller Lebens- und Staatsverhält-
nisse erwartet hatte, sich als einseitige und darum auch hinfällige Träume
erwiesen haben, richtet sich der suchende Blick wieder vorzugsweise auf das
Recht. Nach dem volkswirthschaftlichen Fiasko soll das Recht wieder Rath
schaffen. Im Gewirre der Zeitstimmen schaut nun die jüngere Generation
nach Fivgerweisen der Kritik aus, namentlich seitdem auch von deutschen
Fachgelehrten, u. a. Prof. FrAnk-Giessen, der neue Begriff einer „sociologi-
schen Jurisprudenz“ in Sicht gestellt ist. Hiermit hat sich eben nur ein Um-
stand als Thatsache abgeklärt, nämlich dass das gelehrte Deuschland und die
staatsmännische Intelligenz in diesem Stück sich noch in einem auffälligen
Rückstande gegenüber der Rührigkeit sociologischer Denker im gesammten
Auslande befinden. Das Sturmgeläut der socialen Frage ertönt inzwischen,
und gellender als auswärts, auch im lieben Deutschland. Aber wo der socio-
logische Strang hängt, der das socialdemokratische Sturmgeläut in ein Friedens-
geläut gesunder Socialreform umstimmen kann — darüber halten hier die
ordnungsmässigen Organe der Aufklärung noch immer ein beharrliches
Schweigen inne.
Unberufenen Stimmen wird hierdurch ein unbeschränkter Spielraum
überlassen, wo im Getümmel widerstreitender Meinungen auch die beste
Intention, bei unvermeidlicher Verquickung mit der pia frans, ihren Kampf
gegen die vorbehaltlose Energie der mala fides mit gänzlicher Niederlage
büssen muss. In Anbetracht dieser Unterlassungssünde von massgebender
Seite mögen also einige Randglossen zu obiger Schrift hier Raum finden.
Gegenstand und Zweck der ethnologischen Jurisprudenz soll Herstel-
lung eines „Universalrechts der Menschheit“ sein S. V. Diese Verbindung
von zwei Vorstellungskreisen allgemeinster Fassung ist aber eine solche Super-
fluenz von Generalisation, dass sie zunächst völlig nichtssagend ist = 0,0 x.
Soll etwa das Tam-Tam der Gemeinplätze, womit auf der politischen Schau-