Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunter Band. (9)

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Mensch verliert sich in jedem Sinne des Worts, wenn er den individuellen 
Charakter aufgibt“ (der Socialismus etc., deutsch v. HoFMEISTER, 5O0ff.). 
Gerade wie mit dem Menschen, verhält es sich in diesem Stück auch 
mit dem Recht, welches mehr bedeuten soll als ein „geträumtes* Recht, wie 
Autor sagt. Der Begriff massgebenden Rechts cultureller Entwicklung be- 
ginnt erst mit der Classificirung des Allgemeinen und Besonderen, und mit 
einer so energischen Richtung auf das Besondere, dass das römische jus 
civile, mit einem seiner wesentlichsten Gesichtskreise, sich bereits gehäutet 
hat, aus der früheren Begrifls-Sphäre des Allgemeinen jetzt schon in die des 
Besonderen gerückt ist, nicht mehr Staats- sondern Privatrecht bedeutet. 
Autor zieht auch Savıeny für sich heran. Nun, dieser grosse Jurist 
hat nicht erst im „Beruf unserer Zeit“, sondern schon 1815 in seiner „Gesch. 
d. röm. R. im M.-A.“ die Eigenschaft des Rechts als Sonderbesitz seines 
Volkes so sehr betont, dass er Recht und Volk wie zusammen erstehn so 
auch untergehn lässt. Diese Reducirung des Rechtsbegriffes führt auch die 
letztentscheidende ratio der Rechtsgiltigkeit nicht auf das äusserlich-technische 
Moment der Staatsgewalt, Nothbehelf irrationeller Begründung, sondern aut 
den natürlichen Boden der nationalen Conformität bezw. des individuellen 
suum cuique zurück, nach Altvater GoETHE „das mit uns geborene Recht“. 
Dieses Verfahren ist das gerade Widerspiel zur universellen Rechtsgenerali- 
sation, und entspricht überdies ganz und gar der vom Autor gerühmten in- 
ductiven Wissenschaft naturgesetzlichen Stiles. 
Dieser Stil hat nicht, wie Autor S. 5 behauptet, dem Juristen bisher 
völlig „fern gelegen“. Schon Cicero lässt im 1. B. „Ueber die Ges.“ C.5 
den Marcus sagen: „Die Natur des Rechts müssen wir entwickeln und sie 
aus der Natur des Menschen herholen“. Nur der Chablonenschnitt, den Autor 
diesem Stil geben will, hat bisher jedem massgebenden Juristen ferngelegen, 
jedem Denker, der die höchste Rechtsordnung nicht darin sieht, alles über 
einen Kamm zu scheeren, sondern selbige Ordnung darin sucht: Die überal 
hineinspielende Gegenwirkung centrifugaler und centripetaler Naturmächte, 
durch entsprechende Würdigung beider Seiten, bis zur Harmonie einer gegen- 
seitigen Begleichung und dadurch auch zur Hebelkraft allseitigster Nutz- 
förderung auszugestalten. 
Die Sache hat, namentlich jetzt wieder, eine zu hohe und allgemeine 
Bedeutung angenommen, als dass Referent mit dem einen Gewährsmann, 
SavıenY, sich begnügen könnte. PucaHTta sagt in „Gesch. d. Rechts b. d. r. 
V.“ Bd.I, 5 A. 354: „Eine falsche Bildung ist die Unterdrückung der Indi- 
vidualität. Eine solche falsche Bildung lässt sich auch bei Völkern denken“, 
und ein Volk kann dem Schicksal anheimfallen, „dass jenes allgemeinere 
Element in ihm mächtiger wird, das Individuelle nach und nach verzehrt, 
die Nationalität auflöst und das Volk endlich aus der Reihe der Wesen weg- 
nimmt.“ Dieses anormale Ende wird, wie PucHTA in seinen „Civilistischen 
Abhandlungen“ VI weiter ausführt, nur durch eine „Dritte Periode in der
	        
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