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vom 4. Juli 1893 für ihre Abwicklung den erforderlichen Spiel-
raum durch die im $ 2 dem Reichskanzler eingeräumte Ermäch-
tigung gewährt, Ausnahmen vom Ausfuhrverbote zu gestatten.
Die dem Reichskanzler ertheilte Dispensationsbefugniss bietet
diesem zugleich rechtliche Deckung für die ihm aus der Gegen-
zeichnung der Verordnung erwachsende verfassungsmässige Ver-
antwortlichkeit. Tritt dadurch auch das Problem der practi-
schen Anfechtung des Ausfuhrverbotes in den Hintergrund,
so stehen wir nicht an, auch nach dieser Richtung hin die Rechts-
beständigkeit der Verordnung zu bestreiten. Wir knüpfen damit
an die Controverse an, über die Spaltung zwischen der völker-
rechtlichen und der staatsrechtlichen Wirksamkeit völkerrecht-
licher Verträge, allerdings ohne auf unsere Auffassung zu
verzichten, dass die Zerschlagung der Wirksamkeit nur den An-
forderungen systematischer Prüfung nicht aber denen der Wirk-
lichkeit des staatlichen Lebens zu entsprechen vermag. Der
Staatsvertrag ist, soweit er functionellen Charakter hat.
Damit ist natürlich die Möglichkeit nicht in Abrede gestellt, dass
dler Vertrag seine territoriale Wirksamkeit einbüssen kann, wenn
lie oberste Staatsgewalt die ihrer Herrschaft Unterworfenen von
der Befolgungspflicht gegenüber der vertragsrechtlichen Norm ent-
bindet. Der staatliche Befehl ist für Behörden wie für Einzelne,
für Staatsangehörige wie für Staatsfremde die alleinige Richt-
schnur des Verhaltens, bis er aufgehoben oder durch einen
(segenbefehl wieder entkräftet und der alte Rechtszustand wieder
hergestellt wird. Wir stimmen darin ganz mit SELIGMANN überein
(Beiträge zur Lehre vom Staatsgesetz und Staatsvertrag II. S. 222),
(lass der Gesetzgeber die Disciplin und die ganze staatliche Ord-
nung untergraben würde, wollte er den Gewaltunterworfenen das
Recht zubilligen, bei jeder an sie aon Seiten eines Staatsorganes
ergangenen Weisung zu untersuchen, ob die letztere wirklich und
wahrlaftig dogmatisch reinen Staatswillen enthalte und zum Ge-
lorsam verbinde oder nicht.
Archiv für öffentliches Recht. IX. 1. 4