— 50 —
Allein, da die Bildung des Staatswillens formell und
materiell durch das Recht normirt wird, so liegt zum min-
desten in dem dem Richter zustehenden Recht zur
Prüfung, ob der Inhalt eines Befehls nicht mit einer über-
geordneten Vorschrift desselben Staates in Widerspruch stehe,
ob also der Erlass dieses Inhaltes gegen ein staatliches Gebot
oder Verbot höherer Ordnung verstosse und daher nur in dieser
höheren Form hätte angeordnet werden können, eine Schranke
gegen ein Schwanken der staatlichen Normensetzung. Die Schranke
wirkt allerdings nur potenziell, nur im Falle des eingeleiteten
gerichtlichen Verfahrens, sie zeigt aber die Bedeutung und
unentbehrliche Function des richterlichen Prüfungsrechts über die
Gesetzmässigkeit des staatlichen Befehls und sie zeigt uns den
hohen Werth dieser Institution auch für die Aufrechterhaltung
der internationalen Rechtsordnung. u
Die Summe des Gesagten führt zur formalen Ungiltigkeit
der Kais. Verordnung, zunächst allerdings lediglich vor dem
Gerichtstische. Wir halten uns durch diese Beschränkung der
Anfechtbarkeit von der widerspruchsvollen Uebertreibung frei, in
die SELIGMANN (a. a. O. S. 223) mit der Behauptung verfällt: „Wenn
die massgebenden Organe befehlen, dass ein Vertrag nicht mehr
befolgt werden soll, so hat ihr Befehl, sofern die Formalien
desselben in Ordnung sind, und wenn nicht eine andere
Form für seinen Inhalt ausdrücklich vorgeschrieben ist, für die
Gewaltunterworfenen Geltung und verbindet dieselben zu unbe-.
dingtem „unweigerlichem Gehorsam“. — Wir nehmen letzteren
in der Sphäre der Staatsverwaltung und des Wirthschaftslebens
der Einzelnen auch für die publicirte Verordnung im vorliegen-
den Falle in Anspruch. Mit einem gewichtigen Vorbehalte freilich.
Vor der dem Richter zustehenden Prüfung der Gültigkeit der Ver-
ordnung im Verhältniss zu einer Form und Inhalt nach super-
ordinirten Rechtsnorm vermag sie ihren rechtlichen Bestand.
nicht zu wahren. Die Kais. Verordnung vom 4. Juli 1893 muss