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Rechtszersplitterung in Deutschland, der Verschiedenartigkeit der Partikular-
gesetzgebung, noch als besondere Gründe der fast völlige Mangel einer cen-
tralen Gesetzgebung durch den Norddeutschen Bund und das Deutsche Reich,
die Autonomie der Kirchen und innerhalb der Einzelstaaten die Verschieden-
artigkeit der Confessionen hinzutreten, so fehlt es im geltenden Kirchenrecht
beinahe ganz an übereinstimmendem gemeinem oder auch nur allgemeinem
Rechte; deshalb müssen sich die kirchenrechtlichen Lehrbücher sehr oft bei
der Fülle des Stoffes darauf beschränken, einige Sätze von fundamentaler,
prinzipieller und genereller Bedeutung anzuführen und die partikularen sowie
confessionellen Abweichungen in knappster Form, ja oft nur durch Hinweis
auf die Lehrbücher des territorialen Kirchenrechts anzudeuten. Ein um so
ergiebigeres Arbeitsfeld eröffnet sich dagegen aus dem gleichen Grunde für
die monographische Literatur, um in Detailfragen durch übersichtlichen Ab-
druck der partikularen und confessionellen Einzelpunkte und durch Abstrac-
tion allgemeinerer Sätze aus diesen Quellen der Wissenschaft und Praxis
neues, bisher schwer zugängliches und oft ganz unbekanntes Material und
neue, anregende Gedanken, günstigen Falles sogar endgültig massgebende
Resultate zu erschliessen.
Dies Ziel hat sich auch SchmiDT in seinem Werke über den Austritt aus
der Kirche gesetzt und zwar, wie sofort bemerkt werden soll, mit bestem
Erfolge. Dabei sieht er von der Ausschliessung aus der Kirche ab und
beschränkt sich auf die staatlich anerkannten, mit Corporationsrechten aus-
gestatteten christlichen Religionsgemeinschaften, vergleichsweise freilich auch
andere Religionsgemeinschaften, insbesondere die jüdische heranziehend; er
giebt aber andererseits dem Begriffe „Austritt“ aus der Kirche die weiteste
Fassung, indem er sowohl den mit Oonfessionslosigkeit (Dissidentenstellung)
wie den mit Confessionswechsel verbundenen Austritt behandelt.
Die „Quellensammlung* erscheint dabei als zweiter Theil, als An-
hang (S. 301—388), die eigenen Untersuchungen Scamipr’s über Bedeutung,
Inhalt u. s. w. dieser Quellen und ScHmipT’s sonstige Ausführungen bilden
den ersten „systematischen“ Theil (S. 1—299).
Was zunächst die Quellensammlung betrifft, so dürfte sie um so
zuverlässiger und vollständiger sein, als sie neben Gesetzen im engeren Sinn
auch Verordnungen der Staatsoberhäupter, ministerielle Verfügungen, Erlasse
der kirchlichen Behörden u. s. w. enthält. Dabei werden die Rechtsquellen
jedes einzelnen deutschen Bundesstaates getrennt (innerhalb jeder Gruppe in
historischer Aneinanderreihung) aufgeführt (nur Bremen und Lübeck er-
scheinen unter gemeinsamer Nummer) und nur für Preussen werden zwei
Untergruppen gebildet, weil ein Theil der Vorschriften nicht für die ge-
sammte Monarchie gilt. Schon die rein äusserliche Betrachtung dieser
Quellensammlung ist insofern lehrreich, als sich sofort das negative Resultat
ergiebt, dass vier Staaten (Schwarzburg-Rudolstadt, Bremen, Lübeck und
Elsass-Lothringen) keine Codification über die einschlägigen Fragen besitzen.