„socialeren‘“‘ Richtung eingetreten, so steckt die Civilprocesslehre
noch tief im „Freihandel“ und duldet selbst, wie kürzlich treffend
in den „Preussischen Jahrbüchern“ (Juniheft 1893) dargelegt wurde,
noch einen ausgedehnten „Zwischenhandel“. Einen wichtigen Vor-
stoss im entgegengesetzten, im „socialeren‘“ Sinne bedeutet aber
der österreichische Entwurf.
Ist es auch zweifellos, dass das Wachsen von Bildung und
Wohlstand in einer Bevölkerung die Ansprüche der Rechtsord-
nung an die Selbstverantwortlichkeit der Staatsbürger auf privat-
rechtlichem und civilprocessualischem Gebiete zu erhöhen gestattet,
so bleibt doch eben eine Grenze, die nicht ungestraft, wie meiner
Ansicht nach im bisherigen Civilprocessrechte, überschritten werden
darf; man beraubt dann eben die ungebildeten und bedürftigeren
Theile des Volkes, die doch immer seine überwiegende Mehrheit
bilden, thatsächlich des Rechtsschutzes.?) Und gegen solchen
Missgriff wendet sich ja gerade die.neuere Rechtsentwicklung.
Nach einer Zeit des Erschlaffens der Rechtsordnung in einer allzu
subjectivistischen Strömung‘), die dem „Privatwillen‘“‘ Alles nach-
gab und überliess, hat sie sich wieder zur Selbstbehauptung auf-
gerafft und auf ihren Zweck, ein Schutz und eine Hülfe den
Schwachen sein zu sollen, besonnen. Das geschieht aber nicht
nur durch eine grössere Ausbildung des öffentlichen Rechts und
des Vorschiebens, sozusagen, seiner Sätze in die privatrechtlichen
Rechtsverhältnisse hinein (Arbeiterversicherungsrecht); nicht nur
ım Privatrecht, indem sie durch Aufstellung zwingender Rechts-
5) W. H. PucHrta, Beiträge zur Gesetzgebung und Praxis (1822) S. 69.
Dass das „Armenrecht“ in dieser Beziehung völlıg unzureichend ist, braucht
dem auch nur einigermassen Sachkundigen nicht dargethan zu werden.
6) Vergl. darüber z. B. O. von Bürow a. a. O. S. 93. — „Es erhebt
sich die Rücksicht auf die Gesammtheit“, sagt das obencitirte „Stimmungs-
bild“ der juristischen Blätter, „also ein sozusagen öffentlichrechtlicher
Gesichtspunkt immer mehr zum Regulator der Einzelinteressen auch im Ge-
biete des Privatrechts.“