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aller Uebertreibungen des Mündlichkeitsgrundsatzes!?), soweit sie
das Gesetz nicht strict für unerlässlich erklärt, wenigstens die
immerhin nicht unerheblichen Handhaben für eine Anwendung
des Civilprocessrechts im Geiste des österreichischen Entwurfs
auszunützen, die, unbestrittener Massen, in den Vorschriften
des $ 130 ff. der C.P.O. gegeben sind!
Um die Bestimmungen jenes Entwurfes verstehen und beur-
theilen zu können, wird man sich zunächst das Gerüst vergegen-
wärtigen müssen, an dem das Verfahren, sozusagen, sich hinauf-
rankt, — die Organisation der Gerichtsbehörden.
Die unterste Instanz ist das Bezirks gericht, ‚gleich dem
deutschen, Amtsgerichte, das, abgesehen von besonderen Sachen
'(Alimenten-, Viehmängelklagen u. s. w. — G.V. 8 50, $ 23 der
deutschen Gerichtsverfassung) bis zum Betrage von 2000 Mk. zu-
ständig sein soll und Anwaltszwang erst bei 1000 Mk. hat, — in
den sog. „Bagatellsachen“ (bis zu 100 Mk.), also überhaupt nicht.
(P.O. $ 464 und $ 27 und 29)'%). Als obere Instanzen treten die
13) Was natürlich in der Praxis längst geschieht, die glücklicherweise
das Aergste zu vermeiden weiss. 2. B. eine Wiederholung der Verhandlung,
sobald es sich nur um Anordnung neuer Beweisaufnahmen handelt, wird wohl
selten vor deutschen Gerichten sich abspielen, sei es, dass man dabei den
$ 450 der C.P.O. zu Hülfe nimmt oder nicht.
14) Bekanntlich schweben in Preussen jetzt Verhandlungen über die Er-
weiterung der (Werth-)Zuständigkeit der Amtsgerichte, wobei man zum Theil
Besorgniss hegt, ob man bis auf 500 Mk. hinaufgehen dürfe (JAsTRow,
Zeitschr. f. Civilprocess, Bd. XVIIl, S. 302 ff). In Oesterreich hält man die
Festsetzung auf 2000 Mk. noch für eine Beschränkung {G. V. S. 39; vergl.
auch S. 41); in Kurhessen waren die mit einem Einzelrichter besetzten Unter-
gerichte der Regel nach unbeschränkt durch den Werth des Streitgegenstandes
zuständig: $ 3 u. 4. des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28. October 1863.
Möchte man bei der Auswahl derartiger Bestimmungen sich nur immer der
eindringlichen Worte BRIEGLEBS erinnern (Summarische Processe 9. 163):
„Das gerade ist das Unbegreifliche und Verderbliche, untergräbt den Rechts-
sinn des Volkes, das Vertrauen auf die Gerechtigkeit, die Achtung vor dem
Rechte. Jedermann weiss, dass die Schwierigkeit erfolgreicher Streitverhand-
lung und gerechter Aburtheilung in Sachen von geringem Werthbettage um
nichts geringer ist. Jedermann weiss auch, dass es der Maus, der man die Haut