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Rechte und Pflichten des öffentlichen Rechts und das Verhältniss
zwischen beiden.
Nur dann, wenn die Staatsgewalt zu einem Thun oder Unter-
lassen rechtlich verpflichtet ist, kann für ein Individuum ein sub-
jektives öffentliches Recht bestehen. Der daraus sich ergebende
Schluss von der Existenz eines subjektiven öffentlichen Rechtes
des Individuums auf eine Rechtspflicht der Staatsgewalt ist jedoch
in seiner Umkehrung nicht in jedem Falle richtig. Nicht jeder
Rechtspflicht der Staatsgewalt entsprechen subjektive öffentliche
Rechte des Individuums. Z.B. ein Gesetz statuirt Grewissens-
freiheit, ein anderes Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, ein
drittes bestimmt, dass Eisenbahnen gebaut werden müssen, aber
keinem Individuum erwächst aus einem solchem Gesetze ein gegen
den Staat geltend zu machendes besonderes Recht. Man spricht
in solchen Fällen von Reflexen der Normen des öffentlichen
Rechtes. Wann freilich solche Reflexe, und wann wirkliche sub-
jektive Öffentliche Rechte aus Normen des objektiven Rechtes
hervorgehen, ist kontrovers.
Hier genügt es zu konstatiren, dass nicht jede öffentlich-
rechtliche Pflicht ein subjektives öffentliches Recht begründet.
Aber auch in einem anderen Sinne sind öffentliches Recht und
öffentliche Pflicht nicht korrelate Begriffe, und das ist für die
vorliegende Aufgabe von Bedeutung: auch in der Person des
Trägers des subjektiven öffentlichen Rechtes selbst begründet das
letztere durchaus nicht immer eine Pflicht, und es ist der Satz,
* Auf diese Grenzbestimmung hier einzugehen ist nicht nothwendig.
’ Wenn WALLASCHEK, Studien zur Rechtsphilosophie, Leipzig 1889,
S. 92 sagt: „Jedes subjektive Recht ist nämlich Rechtspflicht und Berechti-
gung zugleich und zwar nicht nur in dem Sinne, dass der Berechtigung auf
der einen Seite eine Pflicht auf der anderen Seite entspricht, sondern auch
namentlich in dem, dass auf einer und derselben Seite Pflicht und Berechti-
gung vorkommen“, so verfolgt er einen ganz anderen Gedanken als den im
Texte als unrichtig bezeichneten, er stellt dem Rechte nicht die Pflicht zur
Ausübung des Rechtes, zur That gegenüber, sondern, indem er das subjek-