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Wenn im Jahre 1870 das placetum regium für das Vati-
canum eingeholt und ertheilt worden wäre, so gäbe es — nach
der von der bayerischen Staatsregierung vertretenen Auffassung
des Placet als Ertheilung des weltlichen Armes — keine Alt-
katholikenfrage, denn hätten die „Altkatholiken® das Vaticanum
dann geleugnet, so wäre die Staatsgewalt entsprechend dem be-
zeichneten Standpunkte verpflichtet gewesen, der Kirchengewalt
gegen diese Verletzung eines Gesetzes derselben auf Anrufen ihren
Schutz zu gewähren, den weltlichen Arm zur staatsrechtlichen Ab-
schüttelung der Altkatholiken zu ertheilen. Wie der Altkatholizis-
mus durch das Infallibilitätsdogma, so ist die Altkatholikenfrage
durch die Nichtplacetirung dieses Dogmas entstanden.
Der von der bayerischen Staatsregierung im Jahre 1890
gemachte Versuch einer Lösung dieser Frage, der in der Ent-
schliessung des K. Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und
Schulangelegenheiten vom 15. März 1890 enthalten ist, setzt an
diesem Punkte ein. Es sei gestattet an den Gang der Ereignisse
aus jener Zeit mit wenigen Worten zu erinnern.
In der Freysinger Denkschrift vom 14. Juni 1888 figurirt unter
den Gegenständen, die dem bayerischen Episkopate Anlass zu Be-
schwerden gaben, auch „die seitherige staatliche Auffassung der sog.
Altkatholikenfrage“. Die Antwort der Staatsregierung vom 28.
März 1889 hebt den oben bezeichneten Zusammenhang zwischen
der Vorschrift des placetum regium und der staatlichen Behandlung
der Altkatholiken hervor, indem sie sagt, das Verhalten der
Staatsregierung gegenüber dem Altkatholizismus sei „nichts an-
deres als die pflichtgemässe Beobachtung der Vorschrift in & 58
Kammer der Abgeordneten vom 6. Nov. 1889, Sten. Ber. IV, S. 169: „Es
ist übrigens auch von gegnerischer Seite nicht bestritten worden, dass die
(Altkatholiken)-Frage mit jener des placetum regium innig zusammenhängt.
Solange dem Unfehlbarkeitsdogma das placetum regium nicht ertheilt ist,
solange wird das bracchium saeculare auch zur Unterdrückung der Alt-
katholiken nicht gewährt“. Siehe auch die Beantwortung der SchLEicH'schen
Interpellation in der Kammer der Abgeordneten 1875, Sten. Ber. III, S. 217.