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Nun zum zweiten Punkte.
Die Kirchengewalt hat durch Nichteinholung des placetum
regium zum Vaticanum und auch durch Publikation und Exe-
quierung desselben trotz verweigerten Placets die (irenzen ihres
eigentlichen Wirkungskreises überschritten, sie hat die Verfassung
verletzt, und damit entfiel die Bedingung, unter welcher ihr 8 51
des Religionsediktes den Rechtsanspruch auf den weltlichen Arm
ım Falle einer Verletzung ihrer Gesetze gewährt. Dem wider-
sprechen direkt die entscheidenden Worte der mehrgenannten
Ministerialentschliessung: „Der Rückhalt, welchen so die Alt-
katholiken in Folge der Nichtplacetirung der erwähnten vatikani-
schen Konzilsbeschlüsse bei der königlichen Staatsregierung seit-
her gefunden haben, hat aber in eben diesen Beschlüssen seine
Grenze. Sobald demnach vom zuständigen kirchlichen Richter
festgestellt und ausgesprochen ist, dass die Altkatholiken nicht
bloss mit Rücksicht auf das Vaticanum, sondern auch aus be-
stimmten anderen Gründen die Ausschliessung aus der katholi-
lischen Kirche verwirkt haben, ist die Staatsregierung angesichts
der verfassungsmässigen Rechte der katholischen Kirche in Bayern
(gemeint ist $ 51 des Religionsediktes) verpflichtet, diesem Urtheile
den Vollzug zu sichern“. Die Kirche hat den Rechtsanspruch auf
den weltlichen Arm nach dem Wortlaute der Verfassung verwirkt,
die Staatsgewalt billigte ihr diesen Rechtsanspruch zu! Dieser
Ausführung der Staatsregierung liegt die im 5. Kapitel dieser Ab-
handlung als unrichtig dargestellte zu enge Interpretation der An-
fangsworte des $ 51 des Religionsediktes zu Grunde.
gegen die Kirche, sondern auch gegen die Staatsgewalt richtet. Anders
nach unserer Auffassung, darnach sind jene Worte der Ministerialentschliessung
richtig, weil eben das placetum regium mit dem weltlichen Arme unmittel-
bar nichts zu thun hat, sondern ein Sicherungsrecht des Staates gegenüber
der Kirche ist. Auch Seitens der Staatsgewalt dürfen placetirte kirch-
liche Gesetze nicht vollzogen werden, denn darin würde ein rechtsungiltiger
Verzicht der Staatsgewalt auf ihr Recht, Einholung des Placet zu ver-
langen, liegen, rechtsungiltig deshalb, weil dieses Recht zugleich Pflicht ist.