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in Wirklichkeit unter dessen Deckmantel Politik treiben, machtlos
bleiben, wenn sie nicht auch die politischen Vereine strengeren
Massnahmen unterwerfen wollte. Keineswegs erhält aber durch
diese Tendenz die Vereinsfreiheit der Staatsbürger eine Einbusse,
sondern die Staatsgewalt sucht durch diese Massnahmen die
Sicherheit der Bürger zu wahren und eine starke Regierung im
Lande zu erhalten. Die energische Aufrechterhaltung der öffent-
lichen Ordnung ist gerade in denjenigen Staaten der leitende
Grundsatz der Gesetzgebung geworden, in welchen das Wohl der
Bevölkerung überwiegend durch die Massnahmen der Staatsgewalt
gefördert wurde. Dagegen beanspruchen die Staatsbürger in den
anderen Staaten, in welchen die Volkswohlfahrt mehr der eigenen
Thätigkeit des Bürgerthums zu danken ist, eine grössere politische
Freiheit. Sie regieren sich gewissermassen selbst und wollen des-
halb in ihrem Willen möglichst unbeengt sein. In solchen Staaten
fordert die Bevölkerung für die Vereinsgesetzgebung 2) die nur
im nothwendigsten Falle beschränkte Ausübung der
Vereinsfreiheit. Man begründet die liberale Gestaltung des
Associationsrechts durch den Hinweis: „Die Formen des öffent-
lichen Lebens möglichst günstig für die ausgedehnte Theilnahme
des Volkes an der Pflege seiner Interessen zu gestalten, und im
Vertrauen auf die Besonnenheit und den gesetzestreuen Sinn des
Landes dem Entwurfe eines Gesetzes über Vereine und Versamm-
lungen das freie System zu Grunde zu legen.“ Auf diesem liberalen
Boden stehen die Gesetze von Baden (21. Okt. 1867), Gotha
(3. Mai 1852), Württemberg (2. April 1848 und 27. Dez. 1871)
und in mancher Beziehung die von Weimar?, Die Gesetze der
deutschen Einzelstaaten scheiden in der Mehrzahl die Versamm-
lungen von den Vereinen nicht. Man schnitt die Gesetze für ein
politisches Associationswesen zu, welches in den Jahren der poli-
® 8. Aufsatz von Dr. BERGER: Politik der deutschen Vereins- und Ver-
sammlungsgesetze im Verwaltungsarchiv, Zeitschrift für V.-Recht und V.-
Gerichtsbarkeit. Bd. 1, Heft 6, 1893, S. 559 fgd.