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Oberverwaltungsgericht: Es sei quaestio facti, ob eine Zusammen-
kunft als Versammlung oder als eine blosse Privatzusammenkunft
anzusehen sei. Für den Begriff „Versammlung“ fordert das
Reichsgericht „eine nicht allzu klein an Zahl bemessene Personen-
einheit“, ohne sich aber zu äussern, welche Menge zu klein sein
würde®. Die Feststellung einer Zahlengrenze würde nicht nur
etwas Willkürliches und Zufälliges enthalten, sondern auch be-
grifflich nicht zu begründen sein, da das Erforderniss der Mehr-
heit von Personen allein ausschlaggebend bleibt. Die Praxis ver-
langt mit Recht, dass eine Versammlung, welche unter das
Vereinsrecht fallen soll, zu einem bestimmten Zwecke mit einer
gewissen ÖOeffentlichkeit veranstaltet wird. Erst dann, wenn die,
Zusammengekommenen sich als zusammengehörig empfinden, wenn,
zwischen ihnen ein inneres Band besteht, kommt eine Versamm-
lung zu Stande: das innere Band liegt in dem Verfolgen eines
gemeinsamen Zweckes®. Welcher Art der Zweck, erscheint
gleichgültig, treffend bleibt wohl die Definition: „Eine Ver-
sammlung ist eine Vereinigung mehrerer Menschen an einem Orte
zu einem gemeinschaftlichen Zwecke, wenn dieser Zweck zugleich
die Ursache der Vereinigung ist®. Den Vereinsgesetzen sind nur
solche Versammlungen zu unterwerfen, welche sich mit öffent-
lichen Angelegenheiten beschäftigen, seien es politische, kommu-
nale, kirchliche, religiöse und sozialpolitische. Der Begriff um-
fasst also das gesammte Öffentliche Leben des Staatsbürgers.
Thatsächlich beschränken auch die meisten deutschen Vereins-
gesetze ihre Normen auf diejenigen Versammlungen, welche sich
mit öffentlichen Angelegenheiten befassen. Wo eine Gefährdung
des Staatswohles von vornherein ausgeschlossen (z. B. bei Ein-
berufung durch Behörden, öffentliche Verbände und deren Ver-
* Entsch. in Strafs., Bd. XXI,.8. 73. Dr. P. Kaspar: Das Preussische
Versammlungs- und Vereinsrecht. Berlin 1894, 8.7.
5 S. Kaspar, 1. c. 8.9.
8 S. Kaspar, 1. c. 8.10.