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gemeinschaften, welche als: blosse Privatvereine vom Staate igno-
rirt werden°®!; denn es ist ja nur der innere, religiöse?” Zwang,
welcher die Gläubigen zur Heilighaltung dieser Feiertage nöthigt,
und dieser innere, religiöse Zwang darf nicht bei einzelnen Ge-
meinschaften darum stärker erscheinen, weil sie sich einer bes-
seren Anerkennung Seitens der Staatsgewalt erfreuen °°®.
Ganz ebenso liegt die Sache, sofern die Kasse von der oben
erwähnten Befugniss Gebrauch gemacht hatte, auch für (Sonn-
und) Feiertage?®® Krankengeld einzuführen; denn auch hier wird
die Frage, was im Gegensatze zum „Arbeitstag“ unter „Feiertag“
zu verstehen sei, von dem individuell-konfessionellen Standpunkte
jedes einzelnen Versicherten beurtheilt werden müssen; hat er
demnach zu Zeiten völliger Gesundheit an bestimmten Tagen die
Arbeit ausfallen lassen, so darf die Kasse ihm nun nicht das
Krankengeld für die gleichen Tage absprechen, weil die Anders-
gläubigen oder die Mehrzahl der Kassenmitglieder an diesem Tage
91 Vgl. FRIEDBERG, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchen-
rechts, 3. Aufl., Leipzig 1889, $S 29 S. 87.
»2 Wegen des äusseren, staatlichen Zwanges bei „allgemeinen“ Feier-
tagen ist das Erforderliche schon oben S. 373 bemerkt worden; er wirkt
freilich zu Ungunsten des Erkrankten auch gegen dessen eigene konfessionelle
Ueberzeugung, ebenso wie eine zwingende Vorschrift des Betriebsreglements
(vgl. ebenda).
»° Man kann vom Standpunkte des Versicherten aus, der als Angehö-
riger einer kleinen Sekte ausser den „allgemeinen“ Feiertagen (Anmer-
kung 92) gar keine oder nur sehr wenige Sonderfeiertage kennt, in dem Ver-
suche der Kasse, ihm wegen der Feiertage anderer Religionsgesellschaften
das Krankengeld zu verweigern, eine Beschränkung seiner Rechte erblicken, auf
welche zwar nicht der strikte Wortlaut, wohl aber der Sinn des bekannten
Bundesgesetzes vom 3. Juli 1869, betr. die Gleichberechtigung der Kon-
tessionen (Bundesgesetzbl. S. 292) zuträfe.
% Oben S. 367.
%5 Dass das Gesetz ($ 6a I Ziff. 4; oben S. 367 Anm. 65) hier nicht
von „Feiertagen“, sondern von „Festtagen“ spricht, dürfte unerheblich
sein oder höchstens als Beweis dafür dienen, dass nicht blos die „allgemeinen
Feiertage* und die Sonntage bei Bestimmung des Begriffes „Arbeitstag“
massgebend sind.