Full text: Archiv für öffentliches Recht.Zehnter Band. (10)

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etwas Willkürliches darin liege, dem theoretischen Begriff, welchen man sich 
von dem Gesetze mache, praktische Folgen beimessen zu wollen, so muss 
dennoch betont werden, dass die Streitfrage, welche fast eine Ueberproduktion 
an Litteratur im Gefolge gehabt hat, weniger aus allgemein staatsrechtlichen 
Begriffen gelöst werden darf, als aus dem konkreten Verfassungsrechte, soll 
nicht die Beweisführung grossentheils in ein petitio principii ausarten. Auch 
das Gespenst der lex annua bei der Budgetfeststellung würde durch eine solche 
Behandlung bedeutend an Harmlosigkeit gewinnen. 
Nach dem Plane der zweiten Auflage des Handbuches wurde das elsass- 
lothripgische Verfassungsrecht in die Bearbeitung des Reichsstaatsrechts ver- 
schmolzen. Aus diesem Siege der Ansicht, dass das Reichsland kein Staat 
sei, sondern nur einen Verwaltungsdistrikt des Reiches bilde, hat LABAxD 
auch die äussersten Folgerungen gezogen, indem er Elsass-Lothringen auf 
gleiche Stufe wie die Schutzgebiete gestellt und dem dafür geltenden 
Reichsverfassungsrechte nicht einmal volle neun Seiten der Darstellung ge- 
widmet hat. Trotz ihrer Folgerichtigkeit wird diese Zusammenfassung von 
vielen Seiten befremdend empfunden werden und als nur zu sehr geeignet, 
die Bedeutung der Reichslande in ein ungünstiges Licht zu setzen. Dass die 
neue Anordnung den Vertretern der gegentheiligen Auffassung, welche in 
Elsass-Lothringen einen wirklichen Staat oder doch ein in der Entwicklung 
nach einem solchen und zwar nach dem Vorbilde der deutschen Einzelstaaten 
begriffenes Gemeinwesen sehen, nach keiner Richtung gerecht werden kann, 
liegt auf der Hand. 
Diese Lücke wird durch Leons, „Verfassungsrecht von Elsass- 
Lothringen“, in glücklicher Weise ausgefüllt. Das Buch ist eine erweiterte 
Auflage des im Jahre 1883 im Handbuche veröffentlichten Staatsrechts und 
soll in übersichtlicher, gedrängter, systematischer Darstellung über das gel- 
tende Landesrecht Aufschluss geben. Der Verfasser geht in seinen Er- 
wägungen über die rechtliche Natur der Reichslande und ihrer Verfassung 
von wesentlich anderen Gesichtspunkten aus als LABAND. 
Das zeigt sich schon bei Beurtheilung der Stellung des General- 
gouverneurs in der Zeit vom Beginne der kriegerischen Okkupation bis 
zur Vereinigung der im Frankfurter Frieden abgetretenen Gebiete mit dem 
Deutschen Reiche. Lasanp glaubt, der Oberbefehlshaber der deutschen 
Heere habe kraft Völkerrechts die von ihm okkupirte französische Staats- 
gewalt ausgeübt, was zur praktischen Folge habe, dass die von dem General- 
gouverneur erlassenen Anordnungen die Kraft und Bedeutung des französi- 
schen Landesrechtes haben. LEonı dagegen erblickt darin nicht Willensakte, 
welche an Stelle der suspendirten französischen Staatsgewalt und für diese 
vorgenommen wurden, sondern Willensakte der durch den Generalgouverneur 
repräsentirten deutschen Staaten, welche selbst zur Herrschaft berufen waren; 
mithin habe derselbe von Anfang an und nicht erst seit dem Friedensver- 
trage die deutsche Staatsgewalt ausgeübt. 
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