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Eduard August Schröder, Das Recht in der geschlechtlichen Ord-
nung. Kritisch, systematisch und kodifizirt. Sozialwissenschaftliche
Rechtsuntersuchungen. Berlin, Emil Felber, 1893. X und 390 S.
Wie schon in seinem früheren Werke über „Das Recht im Irrenwesen‘“,
so erweist sich der Verf. auch in dem vorliegenden als ein sehr radikal vor-
gehender Neuerer, der mit dem bestehenden Rechtszustande gründlich auf-
räumen will. Zunächst erklärt er sich gegen die bisherige Behandlung der
die geschlechtliche Ordnung tangirenden Verhältnisse im „Familienrechte“,
demnach als einen integrirenden Bestandtheil des Privatrechtes. Dagegen
will er die gesammte Materie als ein selbständiges Ganzes aufgefasst und ge-
regelt wissen, in welches auch die in das Gebiet des Verwaltungsrechtes und
Strafrechtes fallenden Normen einzubeziehen sind. Bei dem Aufbau dieses
Systems unterscheidet der Verf. drei erlaubte Formen des geschlechtlichen
Verkehrs: I. die Ehe; II. die freie Liebe (umfassend: a) die Gewissensehe,
b) das Concubinat, c) das Brautverhältniss, d) das freie dauernde und e) das
vorübergehende Verhältniss) und III. die Prostitution. Das Hauptgewichi
wird in dem Systeme auf die Sicherung der Vaterschaft gelegt, daher denn
auch in der „freien Liebe“ die Untreue eines Frauenzimmers gegen den Vater
ihres Kindes während der Empfängnisszeit desselben verboten und gestraft
wird. Aus demselben Grunde wird zwar die Rechtsvermuthung der ehelichen
Geburt, sowie die Vaterschaftsklage zugelassen, es sind aber dagegen alle
Arten von Gegenbeweisen gestattet, unter denen der Verf. die grösste Be-
deutung dem sog. patrosemeiologischen Beweise beimisst. Darunter versteht
er einen Beweis, durch welchen unzweifelhaft dargethan wird, dass das be-
treffende Kind eine Mehrzahl solcher Stammesmerkmale aufweist, welche sich
weder bei dem angesprochenen Vater noch bei der Mutter vorfinden. Der
Ehebruch des Mannes ist nur dann verboten, wenn er in der ehelichen
Familienwohnung verübt wird. Die Prostitution soll als behördlich geschütztes
Gewerbe des weiblichen Geschlechtes erklärt werden und dürfen weibliche
Personen, die sich unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften derselben
hingeben, nicht als ehrlos bezeichnet werden. Bei dieser Gelegenheit sucht
(der Verf. nachzuweisen, dass es überhaupt keine konstitutionelle Syphilis gebe,
und was dafür gehalten werde, nur Folgen der Merkurialkur, also Queck-
silbervergiftung sei; die Behandlung mit Quecksilber müsse daher verboten
werden. Von weiteren auffallenden Einzelheiten des Systems ist noch her-
vorzuheben, dass der Verf. sogar die Onanie mit Strafe belegen will, — ein
Unternehmen, welches nicht nur bezüglich seiner Durchführbarkeit, sondern
auch bezüglich seiner Gerechtigkeit in einer Zeit, da in Folge der For-
schungen KraArrt-Esine’s, MoLL's und Anderer die staatliche Berechtigung
zur Verfolgung konträrsexualer Akte mit Grund angezweifelt werden darf,
nur stiller Heiterkeit oder lautem Widerspruche begegnen kann. Endlich sei
noch erwähnt, dass der Verf. die Säugepflicht der Kindesmutter statuirt und
den Standesämtern die Ueberwachung und Handhabung der diesbezüglichen
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