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Gegenüber einer neuen gesetzlichen Regelung, wie sie das
Reichsversicherungsgesetz vom 22. Juni 1889 für einen recht
komplizirten Organismus getroffen hat, liegt die Sache natürlich
wesentlich anders: hier müssen die angeregten Zweifel m. E.
strictissime und nicht bloss nach den bei den neueren verwaltungs-
rechtlichen Gesetzen im Uebermass beliebten Zweckmässigkeits-
erwägungen entschieden werden, jene Zweifel, zu deren Geltend-
machung das Verfahren der ersuchenden Disziplinarbehörde
oben nur einen äusseren, willkommenen Anlass geboten hat.
Ausserdem glaube ich, wiederholt und auch hier die Auf-
fassung vertheidigen zu müssen, die ich schon, freilich ohne Er-
folg gegenüber der Praxis des Reichsversicherungsamts, bei einer
Erläuterung der Kaiserlichen Schiedsgerichtsordnung zum Invalidi-
täts- und Altersversicherungsgesetze vertreten habe!!; nämlich,
dass zunächst nicht die analoge Anwendung verwandter Gesetze
eintreten dürfe, sondern dass die ergänzenden Rechtssätze aus
den gesetzlichen Vorschriften selbst und ihrer Eigenart zu heben
und zu gewinnen seien. Mit der Sicherheit der Rechtsfindung
mag es freilich, ehe sich eine feste Uebung herausgebildet hat,
in beiden Hinsichten gleich misslich bestellt sein; denn es ist
hüben und drüben Sache des juristischen Taktes und Geschickes,
und dem Zwecke des Disziplinarverfahrens vereinbar sind, z. B. die Vor-
schriften über Vernehmung der Zeugen, deren Ladung, Zwang zum Erscheinen
und Beeidigung ergänzend zur Anwendung zu bringen. Von demselben
Gesichtspunkte ist das Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 bei Rege-
lung des Disziplinarverfahrens ausgegangen. Bei dieser Sachlage wird man
auch in Zukunft, solange die bestehenden Disziplinargesetze noch in Kraft
bleiben, unbedenklich der Rechtsprechung die Prüfung und Entscheidung
der Frage überlassen können, inwieweit die Vorschriften des gewöhnlichen
Strafprozesses, also der Deutschen Str.-Pr.-O. auf das Disziplinarverfahren
subsidiäre Anwendung finden,“ — Bemerkenswerth ist es aber, wie auch das
Kammergericht hervorhebt, dass man schon bei der Rechtsanwaltsorduung
ähnlich, wie bei der oben angeführten Allerhöchsten Kabinetsordre vom
18. Juli 1844, den Erlass ausdrücklicher Vorschriften vorzog.
1! Die Schiedsgerichtsordnung u. s. w. (Hannover 1891), 8. 17 ff.