— 5855 —
Gelangt die Rentensache vom Schiedsgerichte an die letzte
Instanz (Reichs- oder Landesversicherungsamt), so haben die
Grundzüge des folgenden Verfahrens in Unfall-Prozessen viel
Aehnlichkeit mit dem vorangegangenen. Das gilt auch von der
Beweisaufnahme, wenngleich im Gesetzes- oder Verordnungswege
keine Vorschriften erlassen sind. Das Reichsversicherungsamt
hält es für sein Recht und seine Pflicht, nach freier richterlicher
Ueberzeugung Beweis zu erheben und zu entscheiden (Handbuch
der U.-V. S. 754 Anm. 5). Es geht dabei indessen von der
schon aus Kostenrücksichten zu theilenden Ansicht aus, dass
grundsätzlich die Feststellung zweifelhafter, nicht erst in der Re-
kursinstanz bestrittener Punkte in das genossenschaftliche oder
schiedsgerichtliche Verfahren gehöre, und hat den Vorinstanzen
in den Rundschreiben vom 20. und 28. April 1893 (Arb.-V.
S. 364 ff.) dies dringend an’s Herz gelegt. Dabei ist hervor-
gehoben, dass das Rekursgericht erfahrungsmässig im Hinblick
auf die Sachkunde der Schiedsrichter nur ausnahmsweise geneigt
sei, von Feststellungen abzuweichen, die auf Grund einer per-
sönlichen Besichtigung des Verletzten im Verhandlungstermine
getroffen sind. Soll hiernach der Schwerpunkt der Beweisaufnahme
bei der 1. und 2. Instanz liegen, so lässt sich doch nicht ver-
kennen, dass die Möglichkeit durchgreifender Nachprüfung seitens
der obersten Spruchbehörde die beste Gewähr für gründliche
Sachaufklärung bietet. Es ist deshalb zweifelhaft, ob die Unfall-
novellen das Richtige vorschlagen,. indem sie das Reichsversiche-
rungsamt fortan nur noch als Revisionsinstanz über Gesetzes-
verletzungen, Verstösse wider den klaren Akteninhalt
und über wesentliche Mängel des Verfahrens entscheiden
lassen wollen,
Bei Invaliden- und Altersrenten ist allerdings nach $ 80
Abs. 2 der Inv.- u. A.-V.-G., ähnlich wie im preussischen Verwal-
tungsstreitverfahren, das Rechtsmittel in letzter Instanz auf Rügen
dieser Art beschränkt. Das Vorbringen neuer Thatsachen über die
Archiv für öffentliches Recht. X. 4. 39