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ist. Das Recht hat nur Macht und Bestand, so lange die Motive seiner
ständigen Anerkennung allen kommenden Eventualitäten gegenüber in den
Geistern der Rechtsgenossen unerschüttert beharren.
Die Existenz der Rechtsnormen, deren Arten theils vom Gesichtspunkte
des Inhalts, der Qualität und Richtung, theils nach Art, Grund und dem
Masse ihrer Geltung, theils nach Werth und Zweck unterschieden werden,
ist eine zwiefache. Alle werden auf der einen Seite als Rechtsansprüche,
auf der anderen als Rechtspflichten anerkannt. Eine andere Art, Normen
zu wollen und anzuerkennen, giebt es nicht. Alle Rechtsnormen drücken
den Inhalt von Rechtsverhältnissen aus. Nur der Rechtsanspruch,
dem jedesmal eine Rechtspflicht gegenübersteht, ist in vollem Sinne sub-
jektives Recht. Das blosse rechtliche Dürfen entbehrt eines bestimmten
rechtlichen Zwecks und ist im praktischen Resultat gleichbedeutend mit dem
Nichtvorhandensein verbietender Normen. Der Begriff des objektiven Rechts
entsteht erst dadurch, dass wir, einem allgemeinen Bedürfnisse des mensch-
lichen Geistes folgend, den Inhalt der bestehenden Rechtsverhältnisse — die
korrelaten Rechtsansprüche und Rechtspflichten — objektiviren, d. h. gleich-
sam als für sich und ausser uns existirend denken und unserem Ich gegen-
überstellen.
Rechtsobjekt ist strenggenommen das von einer Rechtsnorm ge-
forderte zukünftige Verhalten des Verpflichteten, das freilich seine konkrete,
unterscheidende Gestalt stets erst durch das erhält, worauf es sich bezieht,
mithin durch das, was nach gewöhnlichem Sprachgebrauch als Rechtsobjekt
bezeichnet wird. Geeignet dazu erscheint Alles, worauf sich überhaupt das
Handeln und Unterlassen von Menschen möglicherweise richten und beziehen
kann; in erster Linie die Rechtssubjekte selbst, deren Existenz, Bestandtheile
und Eigenschaften (auch die juristischen Personen, allen voran der Staat)
und erst in zweiter die Sachen, welche man bisher besonders in Betracht zu
ziehen pflegte.
Schon aus dieser kurzen Darlegung der Hauptgesichtspunkte wird man
die Bedeutung und Tragweite der neuen Prinzipienlehre ersehen. Dieselbe
erinnert — trotz der inhaltlichen Verschiedenheit beider Wissensgebiete —
an das Verfahren der neueren Naturwissenschaft. Wie diese durch das
Nachdenken über das gemeinsame Wesen und die allgemeine Gesetzlichkeit
in dem Wirken der alle konkreten Naturvorgänge bedingenden Elementar-
kräfte einen ganz, neuen Aufschwung genommen hat, so steht zu hoffen, dass
auch die vom Verfasser angeregte Forschung nach den allgemeinen Be-
dingungen, von denen das positive Recht aller Orten und Zeiten abhängig
ist, zu Einsichten führen werde, welche sich sowohl für die wissenschaftliche
Bearbeitung wie für die praktische Handhabung des Rechts gleich fruchtbar
erweisen ‚werden.
Dass diese Hofinung nicht ungegründet sei, erhellt schon aus obigen
Anführungen, und würde dies bald noch offenbarer werden, wenn es gelingen