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Gerichtes und es würde eine zu starke Betonung des Aufsichts-
rechtes vor allem dem Gerichte selbst Schwierigkeiten bereiten.
Man muss doch immer davon ausgehen, dass auf beiden Seiten,
beim Vormundschaftsrichter, wie bei dem betr. Verwaltungsbeamten
der gute Wille vorhanden ist, im Interesse der guten Sache mit
einander Hand in Hand zu arbeiten und es ist verfehlt, bei Be-
urtheilung der neuen Einrichtung sich mögliche, aber jedenfalls
sehr abnorme Fälle zu konstruiren, die vielleicht mal eintreten
könnten, aber bei nur einigem guten Willen sich vermeiden lassen
und aus denen es doch noch viele Auswege giebt!
Endlich hat man noch den Vorwurf erhoben, dass die Ein-
richtung dadurch, dass sie in so wichtige Familienrechte eingreife,
den Familiensinn untergrabe. Dieser Einwurf ist um so mehr zu
beachten, als wir vom Standpunkte der Armenpflege aus auf die
Erhaltung und Förderung des Familiensinnes den allergrössten
Werth legen müssen. Es würde viel besser um unsere sozialen
Verhältnisse stehen, wenn noch der gute deutsche Familiensinn
und die Familienzucht in der grossen Masse des Volkes lebendig
wäre. Wo wir sie noch, wenn auch nur in Spuren noch finden,
müssen wir sie schonen und wecken. Es ist aber doch nicht ge-
sagt und gefordert, dass die offizielle Vormundschaft wahllos
einzutreten habe. Nur da soll sie eintreten, wo sie im Interesse
des Kindes angezeigt erscheint. Es kommt, wie in allen Dingen,
auch hier auf den richtigen Takt an.
Mehr oder minder sind alle die hier aufgezählten Einwürfe
vom Standpunkte der Theorie aus konstruirt und erhoben. Den
besten Prüfstein für dergleichen theoretische Bedenken bildet aber
doch wohl der Boden der Praxis und von diesem aus können
wir hier nach einer nunmehr langjährigen Uebung nur das Eine
behaupten bez. bestätigen, dass weder in der einen noch in der
anderen Richtung bis jetzt ein Vorkommniss zu verzeichnen ge-
wesen ist, welches diese Bedenken auch nur im Entferntesten
angeregt oder gar als gerechtfertigt erwiesen hätte.