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beschlossene und vom Reichskanzler bekannt gemachte Verkehrs-
Ordnung für die Eisenbahnen Deutschland. Es kann fraglich er-
scheinen, ob derartige Akte der Staatsgewalt den Uharakter
gesetzvertretender Verordnungen (sog. Rechtsbefehle)
tragen, oder ob sie nur an die Bahnen gerichtete Verwaltungs-
befehle darstellen, welche — gleich den von den Bahnen aus-
gegangenen Reglements — ihre Geltung dem Publikum gegenüber
aus dem Vertragsrechte schöpfen.
Beide Auffassungen sind in der Judikatur wie in der Wissen-
schaft hervorgetreten. Die Frage hat zwar — wie sich aus dem
Nachstehenden ergiebt — bei dem dermaligen Stande der Rechts-
sprechung nicht die grosse praktische Bedeutung, welche ihr manche
Schriftsteller °”, namentlich mit Rücksicht darauf beilegen, dass
nach & 511 der C.-Pr.-O. das beim Reichsgericht einzulegende
Rechtsmittel der Revision gegen oberlandesgerichtliche Urtheile nur
darauf gestützt werden kann, dass die Entscheidung auf der Ver-
letzung eines Reichsgesetzes oder eines Gesetzes, dessen Geltungs-
bereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus er-
streckt, beruhe, wobei nach $ 12 des Einf.-Ges. zur ©.-P.-O. als
Gesetz in diesem Sinne jede Rechtsnorm zu betrachten ist.
Immerhin möchte es aber von Interesse sein, die verschiedenen
Anschauungen, welche in dieser Hinsicht hervorgetreten sind,
möglichst vollständig darzustellen und einer kritischen Prüfung,
namentlich vom Standpunkte der Praxis, zu unterziehen.
6.
Der ersterwähnten Anschauung hat sich anfänglich das
Reichsoberhandelsgericht zugeneigt. In den Gründen zum
97 Vgl. u. A. Schott bei Endemann III, S. 465 und — auf dem ent-
gegengesetzten Standpunkt stehend — Eeer, D. Frachtrecht, 2. Aufl, III,
8. 202. Ob die von diesen und anderen Schriftstellern aus ihrer Auffassung
der Rechtsnatur der staatlich erlassenen Reglements gezogenen Konsequenzen,
auch wenn man dieser Auffassung grundsätzlich zustimmt, zutreffen, ergiebt
sich der Hauptsache nach aus der nachstehenden Darstellung.
Archiv für öffentliches Recht. XI. 2. 13