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selbst gebildet, während das wirkliche England doch ein anderes
war und ist. Wie der ältere englische Parlamentarismus das Ana-
logon der kontinentalen Stände bildet, so ist das ältere Self-
government, welches nach GnEisT allein vorbildlich ist, eher das
Seitenstück zu der patrimonialen Verwaltung des Kontinents.
Jenes GnEIsTsche Selfgovernment, welches beruht auf der Ver-
pflichtung gegen den Staat und durchdrungen ist von dem Be-
wusstsein dieser Pflicht, ist überhaupt erst in Deutschland ver-
wirklicht worden. Die ganze Idee ist rein deutsch und zwar
spezifisch preussisch, nicht englisch.
Die Selbstverwaltung in diesem Sinne bedarf aber eines be-
stimmten Trägers. Als solchen dachte sich GneEIisT die besitzenden
Klassen in Stadt und Land im weitesten Umfange. Durch die
gewohnheitsmässige Handhabung öffentlicher Pflichten in kommu-
nalen und staatlichen Ehrenämtern sollte sich allmählich eine re-
gierende Klasse nach Art der englischen Gentry herausbilden.
Der wesentliche Zweck der Selbstverwaltung war als ein erziehe-
rischer gedacht in dem gleichen Sinne, in dem einst die STEIN-
sche Städteordnung von 1808 erlassen war. Indem die Selbst-
verwaltung dem einzelnen Teilnahme an der Verwaltung nicht
vom Standpunkte eines persönlichen Herrschaftsrechtes, sondern
einer persönlichen Dienstverpflichtung gewährte, sollte er sich ge-
wöhnen, seine sozialen Ansprüche an den Staat den Interessen
der Gesamtheit unterzuordnen. Die Verwirklichung der Selbst-
verwaltung war hiernach nichts Anderes als die Versöhnung von
Staat und Gesellschaft durch die volle Hingabe der letzteren an
den Dienst des Staates.
Wie ideal auch hier das Verhältnis von Staat und Gesell-
schaft aufgefasst werden mochte, der deutsche Staat der Gegen-
wart hat, glücklicher als einst Preussen in der grossen Reformzeit
von STEIN und HARDENBERG, die Prinzipien der Selbstverwaltung
fast bis in die äusserst möglichen Konsequenzen durchgeführt.
Und doch werden wir uns nicht der Verklendung hingeben dürfen,