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behalte wird man aus der Vertragsnatur der Verkehrs-Ordnung
Konsequenzen ziehen dürfen°®.
Auch das Reichsgericht hat sich der Anerkennung der That-
sache nicht zu verschliessen vermocht, dass das Betriebs-Reglement,
obschon es nur im Wege des Vertrages zur Rechtsnorm wird, doch
thatsächlich die Kraft und Bedeutung eines Gesetzes hat. Indem
der höchste Gerichtshof, gleichviel unter welcher Begründung, aus-
gesprochen hat, dass die unrichtige Auslegung dieser Bestimmungen
einen Revisionsgrund abgebe, hat er sie, wenigstens in gewissem
Sinne, als objektive Rechtsnormen anerkannt. Ist dies, nach dem
jetzigen Stande der Rechtsprechung, selbst für das von den Eisen-
bahnverwaltungen autonom erlassene Betriebs- Reglement anzu-
nehmen, so gilt es nach dem Ausgeführten in noch weit höherem
Masse für das vom Bundesrath ausgehende Betriebs - Reglement,
nach der jetzigen Bezeichnung die Verkehrs-Ordnung für die Eisen-
bahnen Deutschlands,
@ewohnheitsrecht überhaupt oder schon fertiges .„ aber dieselbe hat
doch vielfach die thatsächliche Funktion des objektiven Rechts in der lex
contractus“.
68 Die gleichen Grundsätze kommen auch für Bayern zur Anwendung,
obschon dieses gemäss Art. 46 Abs. 2 der Reichs-Verf. dem in dieser Hin-
sicht grundlegenden Art. 45 nicht unterworfen ist. Auch die bayerischen
Eisenbahnen unterliegen nach Art. 4 im Eing. und Ziff. 8 der Reichs-Verf.
im Allgemeinen nicht nur der Gesetzgebung, sondern auch der Aufsicht des
Reiches. Wenn allerdings hinsichtlich verschiedener Ausflüsse des Aufsichts-
rechts, u. A. auch bezüglich der einheitlichen Reglementirung des Verhält-
nisses zwischen der Eisenbahn und dem Publikum (Art. 45, Ziff. 1), eine
Ausnahme für Bayern statuirt ist, so bedeutet dies nur das ungeminderte
Fortbestehen der Landeshoheitsrechte in der erwähnten Beziehung. Und
nachdem der gedachte Bundesstaat von seinem Reservatrecht in der Weise
Gebrauch gemacht hat, dass er seine Bahnen der Verkehrs-Ordnung des Reichs
— allerdings vorbehaltlich einiger ganz geringfügiger Ausnahmen — frei-
willig unterwarf, kommt dieser in Bayern ganz die gleiche Bedeutung zu, wie
im übrigen Reichsgebiet. — Auch in Oesterreich und Ungarn, wo das Betriebs-
reglement einen von den Handelsministerien als Aufsichtsbehörden aus-
gegangenen Verwaltungsakt darstellt, ist auf Grund der Praxis der höchsten
Gerichtshöfe die gleiche Anschauungsweise die herrschende.