— XV —
dass damit die Versöhnung von Staat und Gesellschaft erreicht
sel. Zwei Momente stehen dem vor Allem entgegen.
Die Selbstverwaltung fordert leistungsfähige Träger, sie kann
nur auf die besitzenden Klassen gestützt werden. Damit sind die
unteren Schichten der Bevölkerung ausserhalb der Selbstverwaltung
gestellt. Gerade sie machen aber in der Gegenwart mit einer
Entschiedenheit wie kaum je zuvor ihre sozialen Ansprüche gel-
tend. Diesem sozialen Probleme stand GnEIsT fast ebenso rat-
los gegenüber als einst die Männer der Steinschen Reformperiode
dem der Wirtschafts- und Finanzreform, welche demnächst von
HARDENBERG verwirklicht wurde. GNEIST war im Wesentlichen
Bourgeoispolitiker, nicht im Sinne einer engherzigen Klassen-
herrschaft, wie sie von der französischen Bourgeoisie gehandhabt
wurde, sondern im Sinne der sich ihrer sozialen Pflichten stets
bewussten deutschen und englischen Mittelklassen. Er hatte stets
ein warmes Herz für das Wohl’der arbeitenden Klassen und be-
thätigte dies bei jeder Gelegenheit. Aber die Gesellschaft, die
durch die Selbstverwaltung in den Dienst des Staates gestellt
werden soll, hört eben mit den besitzenden Klassen naturgemäss.
auf. Und wenn er empfiehlt, die kleinen Leute wenigstens in
untergeordneten Gemeindeämtern zu beschäftigen, so bietet dies
selbstverständlich keine Lösung des sozialen Problems. Eine
weitere Ausdehnung der Selbstverwaltung könnte nur Gelegenheit
geben, noch mehr als es heute schon der Fall ist, sozialistischen
Agitatoren eine autoritäre Stellung zu verleihen.
Die Selbstverwaltung leistet aber überhaupt nicht das, was
von ihr gefordert wird. Dass sie technisch schlechter arbeitet,
als das berufsmässige Beamtentum, und deshalb stets Gefahr
läuft, in die Hände der Schreiber zu geraten, ist ja selbstver-
ständlich. Aber auch ihren erzieherischen Wert darf man nicht
überschätzen. Die Selbstverwaltung kann auf die Ermässigung ein-
seitig sozialer Ansprüche hinwirken, aber die volle Hingabe der
Gesellschaft an den Staat widerspricht ihrem innersten Lebens-