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Prozessrechts- und Pflichtverhältniss zwischen ihnen im Strafprozess
sich gestaltet.
Im konstitutionellen Staat kann sich der Träger der
Staats- bezw. Strafgewalt nicht allein von jener Pflicht entbinden,
sondern verfassungsmässig nur innerhalb der gesetzten Schran-
ken. Wo also das sog. Abolitionsrecht nach einer Landesverfas-
sung versagt oder wie in Preussen an gesetzliche Schranken ge-
bunden oder gar nicht erwähnt und nur in der Staatspraxis selten
oder gar nicht in Gebrauch ist, kann die Vollziehung eines Straf-
gesetzes in dem oder jenem sonst geeigneten Falle von dem höch-
sten Inhaber der Strafgewalt nicht ausgesetzt werden, woraus sich
ergiebt, dass die Staatspflicht zur Geltendmachung des im Straf-
gesetze ausgesprochenen und sanktionirten Staatswillens das Recht
eines auch nur ausnahmsweisen Verzichts auf dessen Geltendmachung
überwiegt. Wo dies verfassungsmässig oder aus allgemeinen
staatsrechtlichen Grundsätzen feststeht, kann noch viel weniger
der Staatsregierung in der vertretenden Ausübung der Strafgewalt
durch den Justizminister die Befugniss zustehen, im einzelnen Fall
auf ein Strafrecht des Staates Verzicht zu leisten oder von seiner
(@enehmigung es abhängig machen, ob eine Strafthat, z. B. eine
durch die Presse begangene Majestätsbeleidigung, die ja kein sog.
Ermächtigungsverbrechen, sondern ein von Amtswegen zu ver-
folgendes ist, vom Staatsanwalt zum Gegenstand einer öffentlichen
Klage zu machen sei oder nicht (etwa aus opportunen Rücksichten);
denn verfassungsmässig oder sonst staatsrechtlich kann er nicht
einseitig die zur pflichtmässigen Strafverfolgung geeigneten Straf-
thaten derselben entziehen.
Die auffallendste Wandlung in dieser Beziehung hat sich seit
1850 in Oesterreich vollzogen, bis endlich in der Strafprozess-
ordnung vom 23. Mai 1873 lediglich „das öffentliche Interesse,
dass das Verbrechen bestraft und die durch dasselbe bewirkte
Störung des öffentlichen Rechtszustandes wieder aufgehoben werde“
(Motive), oder die Wahrung des „Interesse des Staates“ in $& 30