Full text: Archiv für öffentliches Recht.Elfter Band. (11)

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Dass ich in der Selbstverwaltung die rechtlich unabhängige Verwal- 
tung im Gegensatz zu der rechtlich abhängigen „Ministerverwaltung“ erhlicke, 
dass nach meiner Auffassung sich in der Ausbildung der Selbstverwaltung 
politisch und staatsrechtlich derselbe Vorgang auf dem Gebiete der „Ver- 
waltung“ wiederholt, der sich zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses 
Jahrhunderts auf dem Gebiete der „Justiz“ (durch Beseitigung der Kabinets- 
Justiz) in Deutschland abgespielt hat (a. a. O. S. 533ff.), dass also im letzten 
Grunde die Weiterbildung der „Selbstverwaltung“ eine anderweite Vertheilung 
der Gewalten im Staate, speziell eine Schmälerung der Rechte und Macht- 
befugnisse der „Krone“ bedeutet — das Alles ist dem Verf. vollständig ent- 
gangen. 
Und doch hätten ihm eine Reihe von Vorgängen gerade aus neuerer 
Zeit die Augen öffnen und über die Richtigkeit meiner Auffassung ihn be- 
lehren können. 
So bewegten sich in Preussen die heftigsten parlamentarischen Kämpfe 
bei der Ausgestaltung der Landgemeindeordnung für die sieben östlichen 
Provinzen vom 3. Juli 1891 (G.-S. S. 233) gerade um die Abgrenzung des 
Gebietes der Selbstverwaltung gegenüber den Machtbefugnissen der „Krone“. 
Sowohl in der Kommission, wie im Plenum des Abgeordnetenhauses bildete 
die Fassung der $$ 2 und 128 des Gesetzes den Gegenstand des lebhaftestien 
Streites, wobei es mit dürren Worten ausgesprochen wurde, dass diejenigen, 
welche — entgegen dem Vorschlage des Entwurfs — die Abänderung der 
Grenzen der bestehenden Landgemeinden und Gutsbezirke, sowie die Bildung 
sog. grösserer Zweckverbände der ausschliesslichen Beschlussfassung der 
Selbstverwaltungsbehörden übertragen wollten, damit eines Eingriffs, einer 
Schmälerung der bestehenden „Kronrechte“ sich schuldig machten. 
Aehnliche Beispiele für die Richtigkeit meiner Auffassung bilden eine 
Reihe von Vorgängen auf dem Gebiete des Steuerwesens in Preussen, die 
sich an die von mir bereits in diesem Archiv. Bd. 4, 9. 540 Anm. 5; 8. 546 
Anm. 9 und 10 aufgeführten Fälle anlehnen. 
Nach den neuen preussischen Steuergesetzen entscheiden eine Reihe 
von Selbstverwaltungsorganen, in letzter Linie das Oberverwaltungsgericht 
über die Steuerpflicht der Einzelnen und deren Umfang, wogegen nach 
früherem Recht die Entscheidung des Finanzministers in letzter Instanz aus- 
schlaggebend war. 
Praktisch findet diese Neuregelung darin ihren höchst bedeutsamen 
Ausdruck, dass der Finanzminister sich neuerdings wiederholt genöthigt ge- 
sehen hat, die von ihm zur Ausführung der Steuergesetze erlassenen Anord- 
nungen den Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts entsprechend zu 
berichtigen und abzuändern — der deutlichste Beweis für die Richtigkeit 
meiner Auffassung, dass die Selbstverwaltung eine jeglicher rechtlichen 
EinwirkungderMinisterialinstanzentzogene Verwaltung bedeutet, 
Göttingen, Juli 1895. Neukamp.
	        
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