Full text: Archiv für öffentliches Recht.Elfter Band. (11)

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Emile Stocquart, avocat & la Cour de Bruxelles, Le Contrat de Travail, 
F£tude de droit social et de legislation comparede. (Paris, 
Bruxelles 1895.) 
Belgien ist zwar neben Frankreich noch immer das Land, in welchem 
die Abneigung gegen die Eingriffe des Staates in die wirthschaftlichen Ver- 
hältnisse noch den bedeutendsten Einfluss auf Staat und Gesetzgebung aus- 
übt, aber auch hier beginnt die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit weit- 
gehender sozialpolitischer Reformen sich mehr und mehr auszubreiten; der 
alte belgische Liberalismus, dieser Typus des manchesterlich-bürgerlichen 
Liberalismus, liegt am Boden, die ersten auf der Grundlage des allgemeinen 
Stimmrechts vorgenommenen Wahlen haben ihn zu einem bedeutungslosen 
Faktor gemacht, nicht ohne sein eigenes Verschulden, wie die Wahrheit 
offen auszusprechen gebietet; nur durch das Eintreten für sozialpolitische 
Reformen wird sich der belgische Liberalismus wieder erheben können, nur 
hierdurch wird er im Stande sein, den Klerikalismus und Sozialismus gleich- 
mässig und wirkungsvoll zu bekämpfen. Das Buch Stocqvarr's über den 
Arbeitsvertrag ist ein erfreuliches Zeugniss dafür, dass man endlich in Belgien 
auch ausserhalb der sozialistischen Partei für eine wirklich genügende Re- 
form des geltenden Arbeiterrechtes mit aller Entschiedenheit eintritt. In sehr 
gefälliger Darstellungsweise behandelt der Verf. auf Grund der rechts- 
vergleichenden Würdigung der Gesetzgebungen der bedeutendsten Indusrie- 
staaten eine Reihe der wichtigsten Fragen des Arbeiterrechtes, welche in 
Deutschland zum grösseren Theile ihre, wenn auch nicht endgültige Lösung 
gefunden haben; die Ausführungen beziehen sich im Einzelnen auf die Re- 
gulirung der Frauen- und Kinderarbeit, die Einführung eines Maximal- 
arbeitstags, des Lohnminimums, die Fürsorge für die Arbeitsunfälle, die 
Lohnzahlung, Gewinnbetheiligung, die Beschlagnahme des Arbeitslohnes. 
Ueberall bekundet der Verf., dass er mit der Gesetzgebung und Literatur 
der betreffenden Materien gut bekannt ist und dieselben zum Gegenstand 
eigenen Nachdenkens gemacht hat; die Reichsgesetzgebung hat die ihrer Be- 
deutung entsprechende und im Ganzen auch richtige Würdigung erhalten, 
bemerkenswerth ist aber, dass der Verf. in seinen Vorschlägen zur Regelung 
der Unfallfürsorge noch nicht so weit geht, wie die in Geltung befindliche 
deutsche Gesetzgebung, wie sich dies in seinem Vorschlage zeigt, die Un- 
fälle, welche durch das Verschulden der Arbeiter verursacht wurden, von 
der Fürsorge auszuschliessen; die Reichsgesetzgebung schliesst bekanntlich 
lediglich die vorsätzlich herbeigeführten Unfälle, welche nur mit Unrecht als 
solche überhaupt zu bezeichnen sind, von der Unfallversicherung aus und es 
ist in dieser Regelung nicht der geringste Vorzug der öffentlich-rechtlichen 
Unfallversicherung vor dem privatrechtlichen Haftpflichtrecht zu erblicken, 
wenn derselbe mit einer Konzession an den Staatssozialismus erkauft werden 
musste, so ist das kein Nachtheil, ein wenig — aber nicht zu wenig — Staats- 
sozielismus ist heute nicht nur nützlich, sondern auch nothwendig. Wir
	        
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