Full text: Archiv für öffentliches Recht.Elfter Band. (11)

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Die Bestimmungen der Reichsverfassung über diese Bezie- 
hungen sind dürftig und nicht der neuen Fassung des Art. 17 an- 
gepasst. Abgesehen von den mehr formellen Rechten des Kaisers 
hinsichtlich der Berufung etc. des Bundesrates geben nur die Art. 15 
und 16, zu denen die bereits erörterte Vorschrift des Art. 17 über 
die selbständige Mitwirkung des Kanzlers an den bezüglichen präsi- 
dialen oder kaiserlichen Verfügungen hinzukommt, positive Normen. 
Nach Art. 15 steht der Vorsitz im Bundesrate und die Lei- 
tung der Geschäfte dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser 
zu ernennen ist. Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere 
Mitglied des Bundesrates vermöge schriftlicher Substitution ver- 
treten lassen. 
Mit diesem Verfassungsartikel korrespondiert das im Schluss- 
protokoll zum Vertrage vom 23. November 1870 Bayern ein- 
geräumte Recht, im Falle der Verhinderung „Preussens* den 
Vorsitz im Bundesrate zu führen. 
Diese Vorschriften sind nach ihrem Wortlaute nicht ohne 
inneren Widerspruch. Denn aus ihnen ergiebt sich, dass der 
Kaiser den Bundesratsvorsitzenden, welcher Mitglied des Bundes- 
rates ist, ernennt, während nach Art. 6 nur die Einzelnstaaten 
im Bundesrate vertreten sein können. Fürst BısmArcK hat nun 
in der Reichstagssitzung vom 13. März 1877 gegenüber dem Ab- 
geordneten HÄNnEL ausgeführt: „Der Vorredner meinte, es sei 
u. a. nicht möglich, dass der Reichskanzler nicht zugleich die 
preussischen Stimmen führe. Ich halte das doch für möglich — 
ich halte es nicht für nützlich; der Reichskanzler braucht nach 
der Verfassung gar nicht Mitglied des Bundesrates zu sein. Nach 
der Verfassung führt er den Vorsitz in demselben, und soweit 
ein Vorsitz ohne Mitgliedschaft denkbar ist, wäre es auch mög- 
lich, dass er nicht Mitglied wäre“ ®®. 
?2 Vgl. Bismarck in der Reichstagssitzung vom 12. Dez. 1876 bei Hosr- 
Koar, Die politischen Reden des Fürsten Bismarck, Bd. VI S. 472.
	        
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