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gabe seiner vom preussischen Ministerium, bezw. nach Art. 44
der preussischen Verfassung von dem einzelnen Ressortminister,
festgestellten Instruktion. Hierüber besteht kaum ein beachtens-
werter Zweifel®®,
Indessen ist die entsprechende Bestimmung in Art. 71! der
Reichsverfassung, wonach jedes Bundesglied — also nicht jeder
Bundesratsbevollmächtigte — befugt ist, im Bundesrate Vorschläge
zu machen und in Vortrag zu bringen, und das Präsidium ver-
pflichtet ist, dieselben der Beratung zu übergeben, in der Theorie
und Praxis verschieden ausgedeutet worden’°®.
So hat BorRNHAK mit folgender Begründung eine dem
Kaiser zustehende Gesetzesinitiative behauptet: „Neben
der Verfassung bildet ein aus der Praxis von mehr als zwei Jahr-
zehnten entstandenes, anerkanntes Gewohnheitsrecht, das die
Reichsverfassung in einem ihrer ursprünglichen Struktur entgegen-
gesetzten Sinne ergänzt und fortgebildet hat, die Quelle des gel-
tenden Rechtes — ein dem geschriebenen Verfassungsrechte dero-
gierendes Reichsherkommen. Durch letzteres hat der Kaiser,
entsprechend der Entwickelung einer selbständigen Reichsregierung,
die Initiative erlangt. Denn da die Vorbereitung der meisten
Reichsgesetzentwürfe naturgemäss durch die obersten Reichs-
behörden erfolgt, so können diese Entwürfe nicht vom König von
Preussen, beraten durch die preussischen Behörden, eingebracht
werden, wenn auch vor der Einbringung eine Verständigung mit
diesem wird gesucht werden; allein das ist keine Uebernahme der
Verantwortlichkeit.* —
Hierbei nimmt BorRNHAR auf eine anscheinend amtliche Notiz
der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 3. Okt. 1892 Bezug,
wonach in den Jahren 1884—1892 im Bundesrath 296 Präsidial-
3 J,ABAND a. a. OÖ. I S. 89 u. 207; Fischer 8. 145 Anm. ***),
% Die Frage, ob dem Kaiser oder Kanzler aus ihrer formellen
Mitwirkung bei der Gesetzgebung ein Veto zustehe, ist hier nicht zu
prüfen.