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gar nicht angehören sollte), sondern der Reichskanzler vor dem
Reichstage übernehmen müsste; und dies aus dem einfachen
(runde, weil der deutsche Kaiser König von Preussen ist“? und
mithin das preussische Ministerium formell nicht gegen eine vom
Kaiser genehmigte Vorlage stimmen kann.
Die kurze Andeutung der Wirkungen des aufgestellten Satzes
wird es rechtfertigen, wenn die von BORNHAK und FIscHER, deren
Ansicht gewissen politischen Richtungen entgegenkommt, an-
geführten Gründe, wenigstens flüchtig, untersucht werden.
Beide behaupten eine gewohnheitsrechtliche Aenderung
der Verfassung — denn dass diese Befugnis mit dem ge-
schriebenen Verfassungsrechte und den Grundlagen desselben
nicht übereinstimmt, anerkennen beide. — Wenige Zitate aus
der Amtsperiode des ersten Kanzlers werden darlegen, dass
für die angebliche Staatspraxis der Beweis nicht erbracht werden
kann.
Aus der Kanzlerrede vom 12. Dez. 1876*: „Ich bin nicht
für den Gesamtumfang der Reichspolitik verantwortlich. Das liegt
nicht in der Stellung eines Kanzlers. Der Kanzler ist der
verantwortliche Beamte der Exekutivgewalt; aber dem Kanzler
die Initiative für jede genommene oder nichtgenommene Initiative
auf dem Gebiete der Gesetzgebung zuzuschieben, ist eine Un-
gerechtigkeit. Diese Initiative ist einmal beim Reichstag
dann aber ist sie wesentlich bei den einzelnen Regierungen
Dass dieses Recht und diese Aufgabe von Seiten der einzelnen
Regierungen so wenig benutzt worden ist, wie es geschehen ist,
das bedaure ich wesentlich‘**; dass auf diese Weise den Exekutiv-
beamten des Kaisers gesetzgeberische Aufgaben im grösseren.
Masse zugeschoben worden sind, das ist mir oft sehr unbequem
gewesen und ich bin in meiner Kompetenz darüber oft sehr zweifel-
#2 LABAND 8. 8. OÖ. S. 208.
#3 Deutscher Reichstag, Kont, Reden VI S. 472 of. mit S. 304 u. 306..
4 Vgl. WInpTHorRsT, Sten. Ber. des Reichstages 1878, 8. 168,