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Die Ausarbeitung solcher Gesetzesvorlagen ist zweifellos
ziemlich kompliziert und es wird oft der Beihilfe der obersten
Reichsbehörden und des Reichskanzlers bedürfen, um schon vor
der Einbringung in den Bundesrat eine gewisse Fühlung mit den
anderen Regierungen zu gewinnen; diese Schwierigkeiten sind
aber auch für bayerische etc. Vorlagen ebenso vorhanden, und
die Besorgnis FISCHERSs, die preussische Regierung könnte z. B.
in Militärsachen eine solche Sachunkenntnis besitzen, dass ihre
Vorschläge vielleicht Unmöglichkeiten für andere Staaten ent-
hielten, kann m. E. nicht dazu führen, dem preussischen Mini-
sterium das Initiativrecht zu nehmen, das jedem anderen Mini-
sterium zweifellos zusteht.
Den BOoRrNHAK-FiscHERschen Schlussfolgerungen fehlen hier-
nach die Prämissen; aber auch ohne diese weiter zu prüfen, ist
klar, dass das Ergebnis ihrer Deduktionen mit den Grundlagen
der Verfassung unvereinbar ist. Gerade weil die Verfassung zahl-
reiche Inkongruenzen aufweist, weil die ganze ministerielle Stellung
des Reichkanzlers auf Rückschlüssen aus dem in das übrige System
der Verfassung unvermutet hineingestellten Art. 17 beruht, darf
die Auslegung keine zu formalistische sein oder sich zu sehr von
politischen Erwägungen leiten lassen; die geschichtlichen That-
sachen, die realen Machtverhältnisse im Reiche sind in der Ver-
fassung zum Ausdrucke gekommen, und sie müssen bei der Aus-
legung unklarer Bestimmungen, Lücken oder Widersprüche mit
entscheiden.
Die behauptete kaiserliche Initiative entspricht nicht diesen
Thatsachen und Verhältnissen. — Denn es ist falsch, aus dem
Kaisertitel monarchische, selbstständige Rechte ableiten zu wollen;
die Präsidialgewalt hat ihre Uebermacht im Bunde nicht aus dem
Kaisertitel, sondern aus dem preussischen Staate°!. Diese reale
Grundlage der kaiserlichen Stellung muss aber auch im Bunde
51 Vgl. SEyDEL, Kommentar $. 92.