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einklagen dürfen. Mit grosser Zähigkeit halten dort die Advokaten
an dieser Unklagbarkeit fest. Es beruht darauf das Ansehen und
die Unabhängigkeit des Standes®. Die Advokatur bekommt da-
durch gewissermassen einen aristokratischen Charakter, der Ad-
vokat erscheint als Gentlemen, der den Armen hilft und sich mit
Geldgeschäften nicht befasst, ferner bekommt kein Richter
Gelegenheit, sich in die Erwerbsverhältnisse der Advokaten zu
mengen. Freilich ist diese Unentgeltlichkeit eine Fiktion, da
auch der Advokat von dem Ertrage seiner Arbeit leben muss,
und setzt eine Gewöhnung im Volke heraus, die Advokaten für
jene zu bezahlen. Wo diese fehlt oder in abusum kommt, greifen
die Prokuratoren ein, die für die Advokatenhonorare sorgen.
Der Advokat befasst sich mit der rechtlichen Seite eines
Streitfalles und beruht darin der wissenschaftliche Charakter
seines Berufs. Ganz besonders tritt dieser in den Rechtsgutachten
in den Vordergrund?. Hier erscheint der Advokat im vollen Sinne
des Wortes als Rechtsgelehrter. Als solcher erscheint er gleich-
falls bei der Ausbildung des Nachwuchses. Dabei übt er
auch eine erziehende Thätigkeit aus, indem die älteren die jün-
geren Advokaten mit den Traditionen des Standes bekannt
machen, die dessen Ehrenhaftigkeit und Ansehen begründen !°.
® Vgl. darüber namentlich PrischL, Advokatur und Anwaltschaft.
Berlin 1888, S. 362ff.
° In Frankreich unterschied man vor der Revolution zwischen a. con-
sultants und a. plaidants. Die Ersteren beschäftigten sich ausschliesslich
mit Rechtsgutachten. Sie sind jedoch in der Gegenwart nicht mehr vorhanden.
"In England bilden die gelehrten Juristen Innungen (inns of court),
deren es im Ganzen vier giebt und welche die Studenten, Advokaten und
Richter umfassen. Wer sich der Rechtswissenschaft widmen will, muss sich
in eine dieser Innungen aufnehmen lassen. Es werden wohl in denselben
Vorlesungen gehalten und finden in neuerer Zeit auch Prüfungen statt.
Doch sind dieselben keineswegs schwierig. Ist bezüglich der wissenschaft-
lichen Ausbildung gegen früher auch Vieles besser geworden, so wird darauf
doch weniger Werth gelegt, als auf die Erwerbung gesellschaftlicher Tugenden.
Während der dreijährigen Studienzeit finden in bestimmten Zwischenräumen
zwölf Mahlzeiten statt, deren Besuch obligatorisch ist. Die praktische