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die Unabhängigkeit der Gerichte betrachte®. Einen ähnlichen
Standpunkt vertraten die Urtheile der Strafgerichte. Als 1853
ein Abgeordneter zur Verbüssung einer zweimonatlichen Gefäng-
nissstrafe während der Vertagung des Landtages verhaftet wurde,
entschied der höchste Gerichtshof, dass Art. 84 nach - seinen
Zwecke und Grunde nicht von der Strafhaft, sondern in Straf-
sachen nur von der Untersuchungshaft rede. Derselbe Gerichts-
hof erkannte, als ein Abgeordneter während der durch landes-
herrliches Decret ausgesprochenen Vertagung der Kammer in
Untersuchungshaft genommen wurde, dass unter den Worten des
Art. 84 der Verf.-Urk. „während der Dauer des Landtages“ nur die
Zeit der wirklichen Versammlung der Stände zu verstehen sei. Eine
spätere Entscheidung hat ausserdem ausgesprochen, dass Art. 84
der Verf.-Urk. dann keine Anwendung finde, wo es sich von einer Haft
als Zwangsmittel handle, um Jemanden zur Erfüllung einer grund-
los verweigerten Bürgerpflicht (Herausgabe von Urkunden) zu
nöthigen®. Im Jahre 1886 wurde die Frage von Neuem praktisch,
als ein Abgeordneter während der Vertagung der Kammer durch
den Präsidenten, als Beschuldigter in einer Strafsache wegen
Beleidigung zur amtsgerichtlichen Vernehmung gemäss $ 133 der
St.-P.-O. unter Androhung gefänglicher Vorführung geladen wurde,
und an einen von einem auswärtigen (sächsischen) Gerichte ver-
urtheilten hessischen Abgeordneten die Aufforderung zur Straf-
verbüssung gemäss $ 489 der St.-P.-O., unter Androhung der Ver-
haftung (persönlicher Vorführung), erging. In beiden Fällen hielt
sich die Regierung zu einem Eingreifen in das gerichtliche Ver-
fahren mit Rücksicht auf 8 490 der St.-P.-O. nicht für befugt. Je-
doch ist aus einer Bemerkung in den Verhandlungen ersichtlich,
dass nach Ansicht der Regierung der Ausdruck des Art. 84
auch die Zeit der durch den Präsidenten ausgesprochenen Ver-
tagung umfasse und die Androhung einer Verhaftung unter den
*? s. die in Anm. 1 citirten Verhandlungen 8, 10.
® ». desgl. S. 11, 12.