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I. Nach 88 3 u. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Str.-
P.-O. sind die prozessrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze
prinzipiell ausser Kraft getreten. Diese Derogirung trifft auch den
Art. 84 der Verf.-Urk.; denn die darin enthaltenen eine Immunität
begründenden Normen sind ihrem Inhalte nach Rechtsätze des
Strafrechts und des Prozesses, welche auf politischen und staats-
rechtlichen Motiven beruhen (vgl. LABAND, Staatsrecht des Deut-
schen Reichs, I. Aufl. 1876, Bd. 1852 S. 570, GAREIs, in Mar-
quardsens Handbuch des öffentl. Rechts, S. 14); allein $ 6 jenes
Einführungsgesetzes conservirt in seinen weiter folgenden Bestim-
mungen mindestens einen Theil des Inhalts des Art. 84, denn in
8 6 Abs. 2 ist gesagt:
„Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Bestimmungen:
1. über die Voraussetzungen, unter welchen gegen Mitglieder
einer gesetzgebenden Versammlung während der Dauer einer
Sitzungsperiode eine Strafverfolgung eingeleitet oder fortgesetzt
werden kann“ etc.
Stellt man nun neben diese conservirende Bestimmung unsern
Art. 84, welcher lautet:
„Während der Dauer des Landtags sind die Personen,
welche zu der Ständeversammlung gehören, keiner Art von
Arrest, als mit Einwilligung der Kammer, zu welcher sie ge-
hören, unterworfen, den Fall der Ergreifung auf frischer That
bei strafbaren Handlungen ausgenommen, in welchem Falle
aber alsbald der Kammer, zu welcher der Verhaftete gehört,
die Anzeige des Vorfalles, mit Entwicklung der Gründe gemacht
werden soll“,
so ergibt sich:
1. Die „Voraussetzungen“, welche unberührt von der Strafprozess-
ordnung bestehen bleiben, sind zweierlei: erstens die Einwilli-
gung der Kammer, und zweitens der Fall der Ergreifung auf
frischer That nebst motivirter Anzeige. Diese „Voraussetzun-
gen“ bleiben erhalten aus unserem hessischen Rechte,