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Etwas anderes ist es ferner, den numerus clausus
nicht abzuschaffen, alsihn, nachdem die freie Advokatur
fünfzehn Jahre bestanden hat, wieder einzuführen. Schein-
bar am nothwendigsten wäre jener in den Grossstädten, wie Berlin,
München u. s. w., wo sich allerdings bereits Ansätze zu einem
Advokatenproletariat®® finden‘. Dies sind aber gerade die
Plätze, nach welchen sich, neben durchaus tüchtigen und ehren-
haften Männern, die weniger würdigen Elemente des Standes
drängen. Nun könnte der neugeschaffenene numerus clausus sich
doch nur auf den Nachwuchs beschränken. Die bereits Zugelas-
senen würden als beati possidentes davon nicht betroffen. Die
Folge wäre, dass die minder Tauglichen in den Grossstädten
blieben, während diese auf Jahre hinaus in der Provinz wohn-
haften tüchtigen Anwälten verschlossen bleiben würden. Solche
könnten erst dann nach den ÜOentralpunkten gelangen, wenn dort
keine den festgesetzten numerus übersteigende Zahl von Rechts-
anwälten mehr vorhanden wäre. Bei der grossen Menge dort
wohnhafter Rechtsänwälte dürfte dies aber geraume Zeit in An-
spruch nehmen.
Nicht bloss in der Advokatur, sondern auch in der Magi-
% In Berlin wurden im Jahre 1891 61 Zahlungsklagen gegen Rechts-
anwälte bei den Gerichten eingereicht. Uebersicht der Jahresberichte der
Vorstände der Anwaltskammern pro 1891. Juristische Wochenschrift 1891.
#4 Dass das Zuviel an Anwälten nicht etwas Schädliches für die
Rechtspflege sei, wie v. WıLMmowskı a. a. OÖ. S. 204 annimmt, dürfte füglich
zu bezweifeln sein. Die Noth verleidet eben doch die Anwälte zu allerlei
Manipulationen, sich Praxis zu verschaffen und Quellen des Verdienstes auf-
zusuchen, die sich eigentlich nicht für einen Anwalt passen. Die Eingangs
erwähnten Aeusserungen des Naumburger Gutachtens über diesen Punkt
entsprechen leider thatsächlichen Verhältnissen. Auch in Belgien erkennt
man die Uebelstände an, zu denen die grosse Menge von Advokaten Anlass
giebt und betrachtet auch dort nicht den numerus clausus als das richtige
Mittel der Abhilfe, indem derselbe von der zur Prüfung von Reform-
vorschlägen eingesetzten Kommission einstimmig verworfen wurde. Reformes
professionnelles S. 7 u. 39.