Full text: Archiv für öffentliches Recht.Elfter Band. (11)

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Prüfung der Schuldfrage Abstand zu nehmen und nur bei in 
contumaciam Verurtheilten die alte Regel zu beobachten. Der 
ausliefernde Staat gestattet also unbesehen die Vollstreckung des 
fremden Urtheils, er hilft auf einfaches Ersuchen mit an der 
Vollstreckung, indem er den Verbrecher dem Arm der fremd- 
ländischen Gerechtigkeit überliefert, ja er vollstreckt sogar das 
Urtheil zum Theil selbst, wenn der Flüchtige in dem Zufluchts- 
staate verhaftet ist, eine Massnahme, die nach den Verträgen bald 
obligatorisch, bald fakultativ ist und oft Monate lang dauern 
kann. Es pflegt nämlich den Ausgelieferten die in Folge des 
Auslieferungsverfahrens im Zufluchtstaate erlittene Haft auf die 
Strafhaft angerechnet zu werden. Ist das richtig, dann versteht 
man nicht, weshalb ein Staat davor zurückschreckt, ein fremdes 
Strafurtheil zu vollziehen. Im Strafrecht gilt der Grundsatz, dass 
die Strafvollstreckungsbehörde nur die Vollstreckbarkeit, nicht 
auch die Rechtsgültigkeit des richterlichen Urtheils zu prüfen hat. 
Die Anwendbarkeit dieses Prinzips hat das deutsche Reichsgericht 
(Entsch. in Strafsachen, Bd. 16 S. 223) sogar in dem Falle an- 
erkannt, wo der erkennende Richter zugleich die Vollstreckungs- 
behörde bildete und sofort an den Schuldigspruch die Vollstreckung 
sich anschloss. Wer die Strafe vollstreckt, der trägt keineswegs 
die Verantwortung dafür, dass das Urtheil materiell richtig ist. 
Nie würde man einen Scharfrichter verantwortlich machen, wenn 
Richter und Geschworene in bewusster Rechtsbeugung einen Un- 
schuldigen zum Tode verurtheilt hätten. Der fremde Staat über- 
nimmt also keinerlei Verantwortung, er führt einfach nur die 
Bitte eines anderen Staates aus und das ist durchaus kein im 
Völkerrechtsverkehr seltenes Vorkommniss. Der ersuchende Staat 
mag seine Urtheilsfinder zur Verantwortung ziehen, wenn sie ge- 
fehlt haben. Sollte während der Strafvollstreckung von dem Ver- 
urtheilten ein Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt 
werden, so wird der vollstreckende Staat dasselbe unverzüglich 
an den ersuchenden Staat weitergeben müssen, damit dieser über
	        
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