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Prüfung der Schuldfrage Abstand zu nehmen und nur bei in
contumaciam Verurtheilten die alte Regel zu beobachten. Der
ausliefernde Staat gestattet also unbesehen die Vollstreckung des
fremden Urtheils, er hilft auf einfaches Ersuchen mit an der
Vollstreckung, indem er den Verbrecher dem Arm der fremd-
ländischen Gerechtigkeit überliefert, ja er vollstreckt sogar das
Urtheil zum Theil selbst, wenn der Flüchtige in dem Zufluchts-
staate verhaftet ist, eine Massnahme, die nach den Verträgen bald
obligatorisch, bald fakultativ ist und oft Monate lang dauern
kann. Es pflegt nämlich den Ausgelieferten die in Folge des
Auslieferungsverfahrens im Zufluchtstaate erlittene Haft auf die
Strafhaft angerechnet zu werden. Ist das richtig, dann versteht
man nicht, weshalb ein Staat davor zurückschreckt, ein fremdes
Strafurtheil zu vollziehen. Im Strafrecht gilt der Grundsatz, dass
die Strafvollstreckungsbehörde nur die Vollstreckbarkeit, nicht
auch die Rechtsgültigkeit des richterlichen Urtheils zu prüfen hat.
Die Anwendbarkeit dieses Prinzips hat das deutsche Reichsgericht
(Entsch. in Strafsachen, Bd. 16 S. 223) sogar in dem Falle an-
erkannt, wo der erkennende Richter zugleich die Vollstreckungs-
behörde bildete und sofort an den Schuldigspruch die Vollstreckung
sich anschloss. Wer die Strafe vollstreckt, der trägt keineswegs
die Verantwortung dafür, dass das Urtheil materiell richtig ist.
Nie würde man einen Scharfrichter verantwortlich machen, wenn
Richter und Geschworene in bewusster Rechtsbeugung einen Un-
schuldigen zum Tode verurtheilt hätten. Der fremde Staat über-
nimmt also keinerlei Verantwortung, er führt einfach nur die
Bitte eines anderen Staates aus und das ist durchaus kein im
Völkerrechtsverkehr seltenes Vorkommniss. Der ersuchende Staat
mag seine Urtheilsfinder zur Verantwortung ziehen, wenn sie ge-
fehlt haben. Sollte während der Strafvollstreckung von dem Ver-
urtheilten ein Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt
werden, so wird der vollstreckende Staat dasselbe unverzüglich
an den ersuchenden Staat weitergeben müssen, damit dieser über