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den Äntrag seine Entscheidung treffe, in geeigneten Fällen wird
der vollstreckende Staat für befugt zu erachten sein, aus eigener
Machtvollkommenheit eine einstweilige Aussetzung der Strafvoll-
streckung anzuordnen.
Dass die Kulturstaaten sich gegenseitig bei der Verfolgung von
Verbrechern Hülfe leisten müssen, ist jetzt allgemein anerkannter
völkerrechtlicher Grundsatz. Das moderne Rechtsgefühl sträubt
sich dagegen, dass schwere Verbrechen ungestraft bleiben und der
Verbrecher nach gelungener Missethat irgendwo deren Früchte im
Auslande unbehelligt geniesst. Wenn sich die Staaten dazu herbei-
lassen würden, fremde Urtheile zu vollstrecken, so würde der Straf-
rechtspflege ein ganz bedeutender Dienst geleistet werden. Es
würde die Flucht wohl kaum noch ergriffen werden, wenn der Ver-
brecher weiss, dass auch im Auslande die erkannte Strafe voll-
streckt wird, dass ihm also nirgends mehr eine sichere Zuflucht,
ein Asyl winkt. In den Fällen, wo Auslieferung wegen der be-
treffenden Strafthat gewährt werden kann, würde überdies dem
Verbrecher die langwierige Auslieferungsprozedur, insbesondere
die oft lange und beschwerliche Rückreise erspart werden können.
Für den die Auslieferung verlangenden Staat würden endlich die
manchmal durchaus nicht geringen Kosten der Auslieferung, ins-
besondere des Rücktransportes in Wegfall kommen.
Bei dem Vertrauen, welches ein Staat den Gerichten eines
anderen zivilisirten Staates schon im Allgemeinen nicht versagen
kann, und welches er, wenn er mit einem anderen Staate einen
Vertrag über Auslieferung abschliesst, eben durch den Abschluss
eines solchen Vertrages noch insbesondere bekundet, erscheint es
nicht als eine Ungeheuerlichkeit, eine Aenderung des bestehenden
Rechts dahin in Vorschlag zu bringen, dass die Vollstreckung
fremder Strafurtheile als zulässig anerkannt wird, wenn. die Gegen-
seitigkeit' verbürgt ist. Man könnte nun prima vista sich ver-
anlasst fühlen, de lege ferenda den Zustand für den idealen und
erstrebenswerthen zu halten, nach welchem fremde Strafurtheile,