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Für die Thätigkeit am Oberlandesgerichte wird also eine
andere Art der Begabung vorausgesetzt, als bei den unteren In-
stanzen. Mehr wissenschaftlich veranlagte Juristen werden an den
oberen Gerichten, mehr praktisch befähigte an den unteren mehr
leisten®®. Auf diesem Wege wird es möglich sein, die Rechts-
anwälte bei den verschiedenen Gerichten je nach ihrer Geistes-
richtung und Veranlagung zu verwenden, was der Rechts-
pflege zu grossem Vortheil gereicht.
Man führt ausserdem für eine besondere Rechtsanwaltschaft
bei den Oberlandesgerichten noch an, dass die Prüfung eines
Prozesses bezüglich der Frage, ob gegen das Urtheil Berufung
eingelegt werden soll, durch einen zweiten, noch nicht mit der
Sache befassten und daher unbefangenen Anwalt erfolge und auf
diese Weise die Oberlandesgerichte von mancher aussichtslosen
Berufung verschont bleiben würden und dass der zweite Anwalt
der Sache eher neue Gesichtspunkte abzugewinnen vermöge, als
der erste, „weil vier Augen mehr sehen als zwei“ ®®.
5. Die Aenderung des $ 27 Abs. 2 der Rechtsanwaltsordnung.
Weder eine Amtsgerichtsanwaltschaft als Vorstufe für die
Rechtsanwaltschaft bei den Kollegialgerichten, noch eine solche
bei den Oberlandesgerichten, welche eine Spezialisierung der Rechts-
anwaltschaft ermöglicht, könnten ihren Zweck erfüllen, wenn
nicht & 27 Abs. 2 entsprechend abgeändert würde.
Sowohl die Rechtsanwälte an den Amtsgerichten, als auch
die an fremden Kollegialgerichten zugelassenen, finden an den in
Frage kommenden Gerichten zur Uebernahme einer Prozess-
65 Vgl. auch STETTIN, Juristische Wochenschrift 1894, S. 336. PEMSEL,
Referat S. 19.
565 Gans, Von dem Amte der Fürsprecher vor Gericht 1829 (2. Aufl.),
S. 240. Verhandl. des XIV. deutschen Juristentages Bd. II, Heft 1, S. 38
u. 39, Heft 2, 8.83 u. 34; Bd. DI, S. 19.
Archiv für öffentliches Recht. XI. 1. 3