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ganzer Schärfe erkennen. Der Verfasser will — nicht geblendet von dem Glanze
des kaiserlichen Titels und abweichend von den meisten Staatsrechtslehrern
— den preussischen Einfluss innerhalb der deutschen Reichsverfassung unter
gänzlicher Ausserachtlassung der politischen Momente darstellen und ein
Bindeglied zwischen den Systemen des preussischen Staatsrechtes und des
deutschen Verfassungsrechtes schaffen. Recensent vermag die auch von KıTTEuL
nach dem Vorbilde seines Lehrers (Frhr. von STENeEL im Handbuche des
öffentlichen Rechtes II, 3) aufgestellte Schranke bei Darstellung des preussi-
schen Staatsrechtes, welche die preussische Hegemonie im Reiche ausser Acht
lassen müsse, nicht als notwendig oder zweckmässig anzuerkennen. Gerade
die einseitige Betrachtung der preussischen Machterweiterung ausschliesslich
vom Standpunkt des Reichsstaatsrechts aus führt zu den (auch im Archiv
Bd. XI S.309 bekämpften) unrichtigen Konstruktionen der rechtlichen Natur
des Reiches und der Reichsgewalt. Kırrens Hauptsatz, der wie die übrigen
Sätze der eingehenden Begründung und Entwicklung entbehrt, lautet: „Die
preussische Hegemonie“, unter welcher Bezeichnung die Präsidialfunk-
tionen, die Ehrenrechte und die Verfügungsgewalt über die Armee und
Marine zusammengefasst werden, „ist nicht eine exceptionale Erscheinung,
die rein äusserlich in das Verfassungswerk hineingetragen wurde, sondera
direkte Voraussetzung für den ganzen deutschen Staatenbundes-
bau. Sie fällt (als Gesamtbegriff) nicht unter die in Art. 78 II bezeich-
neten Sonderrechte, Preussen kann hierauf nicht verzichten“. Die weiteren
Sätze, dass die Hegemonie oder ihre wesentlichen Bestandteile (z. B. Art. 11)
nicht ohne tiefe Umänderung der Verfassung aufgehoben werden können, dass
das Präsidium etc. auch dem preussischen Regenten — allerdings ohne den
Ehrentitel eines deutschen Kaisers (vgl. Archiv VI 8.574) — zusteht, be-
durften u. E. nicht der besonderen Hervorhebung als Ergebnisse einer neuen
Konstruktion, aus der auch der weitere Satz abgeleitet wird, dass der Reichs-
kanzler sich „nicht wohl“ von dem preussischen Ministerium trennen lasse;
ohne auf diese Frage irgend einzugehen, behauptet sodann Kırreu lediglich,
dass nach seiner Konstruktion, worunter wohl der erwähnte Hauptsatz zu
verstehen ist, die Trennung der Reichs- und preussischen Staatsorgane auch
theoretisch der Verfassung zuwiderlief.
Ob die staatsrechtliche Lösung des Problems durch die Einschiebung
des juristisch schwer fassbaren Begriffes der Hegemonie überhaupt gefördert
worden ist, muss Recensent bezweifeln. Wenn z. B. KırrEL ausführt:
„Preussen hat nur das Recht auf das Präsidium, während die einzelnen
Präsidialbefugnisse nicht in den direkten Bereich des preussischen Hegemonial-
rechtes gehören“, so ist das u. E. nicht klarer oder anschaulicher als die von
LaBann, Reichsstaatsrecht I, $ 24i.f. gegebene Unterscheidung. Mit Recht
hat dagegen Kırraı die zu weitgehenden Folgerungen bekämpft, die Zorn,
Rıc#arn Fischer (der, wie Kırrku feststellt, Zorns bezügliche Darstellung
teilweise einfach abgeschrieben hat) u. a. aus der Wiedererrichtung der