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„Anklageprozess* wieder zur Geltung kam, indem ein Teil des
Prozessbetriebes in die Hände der in jenem Verhältniss stehenden
Beteiligten als Rechtssubjekten neben der Leitung des Richters
gelegt und somit nach Analogie des Zivilprozesses „Parteien“ in
das Verfahren mit selbständigen Thätigkeiten eingeführt und so
aus einem vielfach nach dehnbaren, doktrinären Regeln und Will-
kür geführten Verwaltungsverfahren ein in streng geregelte Bah-
nen der streitigen Gerichtsbarkeit gewiesenes Rechtsverfahren
des „kontradiktorischen Untersuchungsprozesses“ geschaffen wurde.
Eine Verkennung dieser sachlichen Grundlagen zeigt sich in
KOHLers Besprechung des Jounschen Kommentars zur Str.-P.-O.,
in Heymanns Juristischem Litteraturblatt, I (1889) Nr. 3. Davon
ausgehend, dass schon das Dispositionsrecht im Zivilprozess ein
bedeutsamer Fehler gewesen, behauptet KOHLER, sei das ganze
System von den Parteien oder das Anklagesystem im Strafprozess
grundsätzlich verfehlt; gerade die Befreiung des Strafverfahrens
von der zivilprozessualen Form sei einer der grössten Fortschritte
gewesen, die Schaffung des Untersuchungsprozesses eine der grössten
rechtshistorischen Thaten (!); nicht die Aufhebung, sondern die
Läuterung des Inquisitionsverfahrens sei das Ziel unserer straf-
prozessualen Entwickelung gewesen und sei es auch in Zukunft.
Worin diese Läuterung bestehen soll, verbirgt KOHLER vorläufig;
man hat sie bisher eben in der Zulassung der Parteivertretung
mit Kontradiktionen in dem Untersuchungsprozess gefunden und
damit die Offizialmaxime auf das richtige Mass staatsrechtlich
wie prozessualisch zurückgeführt. KOHLER hat dann weiter bei
Besprechung des Lehrbuches des deutschen Strafprozessrechts
von A. v. Krızs, Freiburg 1892, in Heymanns Jurist. Litteratur-
blatt V (1893) S. 153 seine Auffassung von dem heutigen Straf-
prozesse dahin zusammengefasst: unser Strafprozess sei nicht
nach den Regeln des Parteiprozesses gebildet und ein solches
Verfahren sei überhaupt für die Zwecke des Strafprozesses un-
geeignet. Welches aber diese Zwecke seien, giebt KOHLER nicht