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sichten (der Opportunität oder gar persönlicher Willkür) im
vorliegenden Falle oder in einer Gattung von Fällen z. B.
studentischen Mensuren, Pressdelikten, Beamtenvergehen u. dgl.,
davon abzusehen; denn dann stände der Wille des Strafamtes
über dem Gesetz. Eine der bedenklichsten Konsequenzen einer
solchen Opportunität in der Praxis wäre etwa die Nachahmung
der Verwendung der sog. Kronzeugen, wie sie im englisch-
schottischen Strafprozess üblich ist, dass nämlich an einer straf-
baren Handlung Beteiligte, um sie zur Unterstützurg der öffent-
lichen Klage als Zeugen verwenden zu können, nicht unter
Anklage gestellt werden, sondern zur Ueberführung der Haupt-
thäter als Zeugen aussagen müssen. Dass derartige Aussagen,
welche in Erwartung der Straflosigkeit erstattet werden, der
Glaubwürdigkeit ermangeln, liegt auf der Hand; es ist aber
auch einer gerechten Strafrechtspflege unwürdig, unter Verletzung
des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetze, um Belastungs-
material zu verschaffen, an einer Strafthat Beteiligte unverfolgt
durchschlüpfen zu lassen.
Wo das Opportunitätsprinzip im Strafverfahren sich durch
(resetz oder Praxis eingebürgert hatte, wie in Preussen, kann man
sich nicht so leicht an das im Strafverfahren des Deutschen Reichs
S 152 Str.-P.-O. kodifizierte, aber durch 88 147 u. 148 des
G.-V.-G. wieder modifizierte Legalitätsprinzip gewöhnen. Selbst
eine Autorität wie R. GnEısT, der es als der Gerechtigkeit in thesi
entsprechend anerkannte, mochte ihm der leichteren praktischen
Beweglichkeit der Strafverfolgung wegen das Opportunitätsprinzip
anfangs vorziehen, während er später im Reichstag 1876 in der
letzten Stunde vor den Konsequenzen der ministeriellen Macht-
befugnisse aus jenen $$ 147 u. 148 mit Dr. WINDTHORST ernst-
lich warnen musste. In einem Aufsatz des vormaligen Staats-
anwalts zu Kiel, Dr. Damme (Deutsches Wochenblatt II, 1889,
No. 17 u. 18): „Zum Verständnis der Stellung der Staatsanwalt-
schaft im Strafverfahren“ spiegeln sich wohl die Gefühle und An-
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