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wäre das sog. Opportunitätsprinzip, nach welchem die Staats-
anwaltschaft befugt sein solle, in einzelnen Fällen auch beim Vor-
handensein jener Voraussetzungen von der Verfolgung Abstand
zu nehmen und zwar insbesondere dann, wenn wegen der Ge-
ringfügigkeit des Deliktes das Interesse der öffent-
lichen Ordnung die Verfolgung nicht erheische. Dagegen
stehe in keiner Beziehung hierzu das Ermessen der Staatsanwalt-
schaft aus Rücksichten prozessualer Zweckmässigkeit begründet
erscheinende Klagen wegen in Aussicht stehender Erfolglosigkeit,
etwa wegen Beweisschwäche, ganz oder einstweilen nicht zu er-
heben #,
M. STEnGLEIN, Kommentar, 2. Aufl. 8. 308, erklärt die
Staatsanwaltschaft unter der Voraussetzung, dass sie überhaupt
das Vorliegen einer strafbaren Handlung erkennt und deren Ver-
folgung ein gesetzliches Hindernis nicht im Wege steht, für ver-
pflichtet, die öffentliche Klage zu erheben (Legalitätsprinzip im
Gegensatz zum Opportunitätsprinzip, vermöge dessen jede Ver-
folgung ins Ermessen der Staatsanwaltschaft gelegt sei). Die
einzige Ausnahme vom Legalitätsprinzip, welche die Strafprozess-
ordnung kenne, findet STENGLEIN im 8 416 Str.-P.-O.
v. Krıes, Lehrbuch des deutschen Strafprozessrechts 1892,
88 37, 38 leitet das Legalitätsprinzip aus der materiellen Wahr-
heitserforschung in folgender Weise ab: Wenn in den Gesetzen
des materiellen Strafrechts vorgeschrieben werde, dass derjenige,
welcher ein bestimmtes Verbrechen begangen habe, mit einer be-
stimmten Strafe belegt werden solle, so werde damit zum Aus-
druck gebracht, dass jeder, der sich jener Handlung schuldig
gemacht, aber auch nur er bestraft werde und auch nicht
* Vgl. namentlich die Verhandlungen des zweiten Juristentags (zu
Dresden) und die von Dr. Schwarze verfassten 9 Thesen nebst Motivie-
rung, ferner GLAsER in v. Holtzendorffs Rechtslexikon, 2. Aufl. II S. 369 ff.,
die Litteratur in Schwarzes Kommentar zu $ 512 St.-P.-O., Jonxns Kom-
ment. I 8, 5öff., GEYER, Lehrbuch des Strafprozessrechts, 8. 406.