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schwerer, als es seiner That entspricht. Die Klarstellung dieser
Regel erfolge durch die Ausnahmen, in denen die Strafverfolgung
nur für zulässig erklärt werde unter bestimmten Voraussetz-
ungen, wie Ermächtigung zur Strafverfolgung, Strafantragsstellung.
Hieraus zieht v. KrıEs die zweifache Folgerung: 1. Die Einlei-
tung des Strafverfahrens müsse bei genügenden thatsächlichen
Anhaltspunkten erfolgen, dürfe daher nicht aus irgend welchen
vermeintlichen Zweckmässigkeitsrücksichten unterbleiben, sog.
Legalitätsprinzip; 2. das Verfahren selbst werde von dem Streben
nach materieller Wahrheit beherrscht.
Diese Folgerung ist aber eine umgekehrt richtige. Aus
dem Wesen der Strafgesetze ist das Legalitätsprinzip abzu-
leiten, nicht aus der materiellen Wahrheitserforschung. Das Straf-
gesetz gebietet und mehr noch verbietet es allgemein, ohne
Unterschied, und droht für jeden Straffall unter den allgemeinen
Voraussetzungen, ausnahmsweise unter besonderen, eine Strafe.
Das in dem Strafgesetz liegende Gebot seines Vollzugs richtet
sich im Einzelfall an den Staat bezw. an dessen Organe der Straf-
gesetzvollziehung in der Strafrechtspflege. Hieraus entspringt
die Verpflichtung, das Strafgesetz ohne Rücksicht auf andere
Zwecke als den in jenem liegenden der Gerechtigkeitsübung
in gleichem Masse zu vollziehen, für alle in der Strafrechts-
pflege mitwirkenden Organe, und dieses Pflichtgebot ist das
Legalitätsprinzip im Gegensatz zum Opportunitätsprinzip, das jene
Verpflichtung mit Ausnahmen durchbricht, die von einem über
der Gesetzesherrschaft stehenden Interessengebiet ausgehen dürfen,
in welchen Fällen dem Staat durch seine Regierung eine Ver-
fügung über die Strafvollziehung beigelegt werden darf.
Damit hat aber die materielle Wäahrheitserforschung noch gar
keinen Zusammenhang, soweit es sich um die sog. Initiative des
Strafverfahrens handelt und um dessen Fortsetzung bis zu einem
es beendigenden Richterspruch. Der Grundsatz der materiellen
Wahrheitserforschung beherrscht die Thatsachenfeststellung