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rat und den Reichstag. Die Webereinstimmung der Mehrheits-
beschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetz er-
forderlich und ausreichend.* Das soll auch vom Vertragsgesetze
gelten; freilich mit einer Einschränkung: Voraussetzung seiner
Entstehung ist das Zustandekommen des Vertrages selbst. War
letzterer bereits ratifiziert, bevor Bundesrat und Reichstag die Zu-
stimmung zum Vertragsgesetze aussprachen, so steht dem Erlass
desselben nichts mehr im Wege. Anderenfalls muss noch die
Auswechselung der Ratifikationen erfolgen, auf dass das Vertrags-
gesetz perfekt werde.
Deutscherseits erfolgt die Ratifikation der Staatsverträge
durch den Kaiser; und zwar steht dieselbe gänzlich in seinem
Belieben; das ist, soweit ich sehe, unbestritten. Auch nachdem
Bundesrat und Reichstag dem Entwurfe ihre Zustimmung erteilt
haben, kann der Kaiser die Ratifikation verweigern; und dann
kommt weder der Vertrag, noch das Vertragsgesetz zu stande.
Bei gewöhnlichen Reichsgesetzen verhält es sich anders. Nach
der herrschenden und m. E. richtigen Ansicht ist die Ausferti-
gung und Verkündigung der gemäss Abs. 1 des Art. 5 der Reichs-
verfassung beschlossenen Gesetze verfassungsmässige Pflicht des
Kaisers. Nur die verfassungsmässige Entstehungsform ist Gegen-
stand seiner Prüfung, -—— sagt SCHULZE —, nicht der Inhalt des
Gesetzes, welcher selbst gegen seinen Willen zu stande gekommen
sein kann!. Um die verfassungsmässige Entstehungsform fest-
stellen zu können, muss der Kaiser allerdings auch den Inhalt
prüfen?; er hat ihm aber nicht seine Zustimmung zu erteilen.
Das Vertragsgesetz kann dagegen nie gegen den Willen des
Kaisers zu stande kommen, weil er die Ratifikation des Vertrages
nach freiem Ermessen erteilt. 'Thatsächlich wirkt er also beim
! SchuLze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Leipzig 1886
8 286 8. 119.
2 LaBanD, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I 3. Aufl., Frei-
burg 1895, $ 55 S. 524 ff.
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