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wendet, die nur die Staatsgewalt binden können, so dass ein
Imperativ an die Staatsangehörigen gar nicht einmal möglich ist.
Ein Beispiel einer solchen nur auf der Staatsgewalt lastenden
Verpflichtung ist erst neuerlich wieder in der internationalen
Konvention vom 18. September 1878, Massregeln gegen die Reb-
laus betreffend, enthalten. Hier heisst im Art. 1: ‚Les Etats
contractants s’engagent ä& completer, s’ils ne l’ont dejä fait, leur
legislation interieure en vue d’assurer une action commune et
efficace contre introduction et la propagation du Phylloxera.‘
An welche Staatsangehörige sollte sich hier ein Imperativ wenden?
Aus dieser und ähnlichen Vertragsbestimmungen erwächst nur
für die Staatsgewalt als solche eine Verpflichtung. Und im Grunde
verhält es sich so mit jeder anderen Vertragsbestimmung. Auch
in allen anderen Fällen wird durch die Ratifikation nur der
Staat verpflichtet, wie es ja auch bei der Sanktion der Gesetze
der Fall ist. Erst die Publikation kann jene Bestimmungen,
welche potentiell Normen für dieselben enthalten, zu Verpflichtun-
sen für dieselben erheben. Aber Publikation und Ratifikation
sind zwei gänzlich verschiedene Vorgänge. Die Staatsgewalt als
solche ist bereits durch die Ratifikation gebunden. Die Publi-
kation, wo sie überhaupt möglich und nötig ist, gehört völker-
rechtlich bereits zur Ausführung des Vertrages !?.*
Wir müssen uns vornehmlich gegen den ersten Satz dieser
Ausführung wenden. Der Akt, durch welchen der Staat den
Vertrag schliesst, ist nicht die Ratifikation, sondern deren Aus-
wechselung. Die Ratifikation ist die Unterzeichnung des Vertrags-
instrumentes durch den Kaiser; dem Mitkontrahenten gegenüber
wird eine Willenserklärung aber erst dadurch abgegeben, dass
ihm das mit der kaiserlichen Unterschrift versehene Instrument
überreicht wird. Dieser letztere Akt hat immer die nämliche
Bedeutung: er begründet die völkerrechtliche Verpflichtung des
Staates. Ihn meint JELLINEK in Wahrheit, wenn er von der
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18 JELLINER a@. a. O. S. 55—56.