— 158 —
haupt des mitkontrahierenden Staates? Müssen wir nicht aus
unserer Theorie die Folgerung ableiten, auch seine Zustimmung
sei nach deutschem Reichsstaatsrecht erforderlich für die Ent-
stehung des deutschen Vertragsgesetzes? Diese Frage ist leicht
zu beantworten : das Deutsche Reich, ein souveräner Staat, ist
keinem fremden Willen unterworfen; staatsrechtlich kommen mit-
hin nur seine eigenen Rechtsnormen, seine eigenen Willensakte
in Betracht. Es kann aber lediglich durch seine Organe handeln,
und zu diesen gehört der Kaiser. Die von seinen Organen
innerhalb ihrer Kompetenz, sei es allein, sei es in Verbindung
mit anderen Organen, vorgenommenen Handlungen sind Willens-
akte des Deutschen Reiches und als solche staatsrechtlich wirksam.
Die Handlung eines fremden Staatsorganes kann diesen Charakter
nie haben. Soweit die Willenserklärung des Oberhauptes des
mitkontrahierenden Staates dabei in Betracht kommt, bezeichnet
also der Austausch der Ratifikationen nur die Erfüllung einer
thatsächlichen Suspensivbedingung, von deren Eintritt das Deutsche
Reich die Wirksamkeit des Vertragsgesetzes abhängig macht.
Noch ein anderer Umstand verdient an dieser Stelle der Er-
wähnung : soweit die Oberhäupter der kontrahierenden Staaten
ausser den völkerrechtlichen noch staatsrechtliche Willenserklä-
rungen abgeben, haben dieselben einen ganz verschiedenen Inhalt;
die letzteren erstrecken sich nur auf denjenigen Teil der Ver-
tragsbestimmungen, welche Vertragsgesetz des betreffenden Staates
werden sollen. Dieser Charakter wird aber nie dem ganzen
Vertragsinhalte verliehen; das bleibe späterer Ausführung vor-
behalten.
Der hier vorgetragenen Ansicht dürften noch folgende Ein-
wände entgegengehalten werden: 1. sie verstosse gegen die
Bestimmung in Art. 5 Abs. 1 der Reichsverfassung; 2. sie ver-
nichte die Einheitlichkeit des Staatswillens, der höchsten gesetz-
gebenden Gewalt, indem sie zwei verschiedene Arten der Gesetz-
gebung, ausgeübt durch verschiedene Reichsorgane, proklamiere.